- Politik
- Fragwürdig
Warum will Europa keine Roma?
Cornelia Ernst zur Situation von Minderheiten in der EU / Cornelia Ernst, Europaabgeordnete der LINKEN, gehört zu den Initiatoren einer Anhörung zur Minderheitenpolitik in Europa
ND: Sie haben in einer Pressemitteilung davon gesprochen, dass etwa 10 000 Roma die Abschiebung aus Deutschland droht.
Ernst: Es sind Roma innerhalb von zwölf Jahren vorwiegend aus dem ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland gekommen. Nun droht 10 000 Roma die Abschiebung nach Kosovo. Die Abschiebung nach Kosovo ist nicht hinnehmbar, da ihnen dort Armut und Diskriminierung drohen.
In welchen deutschen Bundesländern leben die Menschen im Moment?
Viele Roma leben vor allem in Hessen, Niedersachen, Nordrhein-Westfalen und Berlin. Aufgrund der geplanten Abschiebungen vor allem aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen kam es in einigen Städten sogar zu Aktionen gegen die Abschiebungen.
Wissen Sie, wie diese Menschen leben?
Diese Menschen leben hier in Deutschland meist unter dem Status der Duldung. Das heißt, dass sie über kein Bleiberecht verfügen und immer mit der drohenden Abschiebung rechnen müssen. Viele von ihnen sind gut integriert, sie sprechen die deutsche Sprache, und viele ihrer Kinder wissen mit Kosovo nichts anzufangen.
Warum möchten Deutschland und Europa diese Menschen loswerden und warum lässt sich Kosovo auf diese Rückführung ein?
Es gibt ein Abkommen zwischen dem deutschen Innenministerium und Kosovo, das vorsieht, sobald sich die Lage in Kosovo verbessert hat, auch sogenannte Rückführungen durchzuführen. Eine solche Verbesserung hat es in Kosovo vor allem für Minderheiten nicht gegeben. Hier handelt die Bundesrepublik nach dem Motto: Wir suchen die Greencard-Gastarbeiter aus, die möglichst nichts kosten sollen, und schieben aber von Not betroffene Menschen einfach ab.
Wie läuft eine Rückführung genau ab?
Die Betreffenden werden angeschrieben und erhalten dann eine Fristsetzung, bis wann sie das Land zu verlassen haben. Dafür gibt es sogar Gelder, die bereitgehalten werden. Das läuft meist über Flüge. Unter Umständen auch mit Polizeigewalt. Das ist nichts Neues. Das Besondere ist, dass es sich um eine Minderheit handelt, die besonders von Vorurteilen betroffen ist.
Am 2. Oktober findet eine Anhörung zur Situation der Sinti und Roma in Köln statt, die von der Delegation der LINKEN im Europaparlament initiiert wurde. Was werden Sie dort vorbringen?
Es gibt eine Initiative von acht Ländern Mittel- und Südosteuropas, die sogenannte Roma-Dekade 2005 bis 2015, in der bestimmte Maßnahmen und Schritte geplant sind, die in den Ländern durchgeführt werden müssen, um die Lebenssituation der Roma zu verbessern. Wir möchten aber auch notwendige Schritte auf europäischer Ebene diskutieren, und auch die deutsche Bleiberechtskampagne.
Es gibt ein europaweites »Programm zur Neuansiedlung«. Worum geht es dabei genau?
Das Programm der Neuansiedlung ist ein Vorschlag der Europäischen Kommission, um Flüchtlinge in Europa so ansiedeln zu können, dass alle europäischen Staaten in die Verantwortung genommen werden können. Das heißt, die Flüchtlinge müssen nicht in dem sogenannten ersten sicheren Ankunftsland bleiben – oft ist das ja Italien, Spanien oder Griechenland – sondern können auch in anderen Ländern Asyl beantragen. Wichtig ist, dass die Asylsuchenden eine tatsächliche Unterstützung erhalten.
Fragen: Antje Stiebitz
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.