Bestürzender Kassensturz
Wegen eines dramatischen Finanzlochs könnte Mangelverwaltung an die Stelle echter Politik treten
Von einem bislang ungedeckten Geldbedarf in Höhe von 1,5 Milliarden Euro bis Ende 2010 sprach dieser Tage Finanzminister Rainer Speer (SPD). Ihm zufolge sind die Einnahmeverluste durch die Finanzkrise beträchtlich. Und das, obwohl ja Brandenburg bislang vergleichsweise gut durch die Krise gekommen sein soll. Nun aber wirkt sich aus, dass sich das Land finanziell gesehen niemals vom Tropf des Bundes wirklich abkoppeln konnte. Einnahmeverluste von dieser Seite treffen das Bundesland also besonders schwer.
Grüne und FDP beschwerten sich, Finanzminister Rainer Speer (SPD) habe sicher schon vor der Landtagswahl von der Misere gewusst, sei aber absichtlich erst hinterher damit herausgerückt. Speer verteidigte sich, er habe schließlich seit Jahresbeginn immer wieder auf die kommenden Probleme hingewiesen. An beiden Aussagen ist etwas Wahres dran.
Dass die prekäre Lage sich keineswegs erst abzeichnet, seit der Minister vor einigen Tagen seinen bestürzenden Kassensturz veröffentlichte, zeigt exemplarisch die Entwicklung bei der bislang als »eierlegende Wollmilchsau« geltenden Lotto-GmbH. Die goldenen Jahre sind dort nämlich schon geraume Zeit vorbei gewesen. Die Umsätze sanken von 232 Millionen Euro im Jahr 2005 auf 162 Millionen im Vorjahr. Im ersten Quartal wurden Umsätze in Höhe von 46,9 Millionen erzielt. Trotz aller Warnungen waren die Jahre nach der Wende von einer massiven Verschuldung gekennzeichnet. Jeder fünfte Steuereuro wandert heute in den Schuldendienst, das heißt in die Zinszahlungen. Hinzu kommt: Nicht nur die aktuelle Krise und die historische Verschuldungspolitik, auch ein sprunghafter Anstieg der Personalkosten im Landesdienst vertiefen im laufenden Jahr die Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben.
Die berechneten Einnahmeverluste bei den Steuern trotz steigender Beschäftigtenzahlen in der freien Wirtschaft zeigen, dass immer mehr Menschen mit ihrer Arbeit so wenig verdienen, dass sie gar keine Steuern zahlen. Eine neue Erkenntnis ist das in Brandenburg nicht. Nur etwa die Hälfte dessen, was dieses Bundesland verbraucht, nimmt es bei sich an Steuern ein. Brandenburg war ein Billiglohnland und ist es geblieben. Weil die Unternehmen in den vergangenen beiden Boomjahren im Ganzen gesehen zulegten, konnte sich die Steuerbilanz ein wenig verbessern. Doch machen die Einbrüche der Gegenwart nun alle Berechnungen und Hoffnungen gegenstandslos.
Das Ziel, die Neuverschuldung auf Null zu drücken, ist in weite Ferne gerückt. Das hoch gelobte Konjunkturprogramm der Bundesregierung hat einen Pferdefuß, der jetzt gewaltig nach Brandenburg ausschlägt: Steuerverzicht und die in diesem Paket mit eingeschnürten Mehrausgaben belasten die Kommunen.
Die Einnahmeerwartungen der regierenden SPD in Brandenburg hielten seit der Wende der Realität fast nie stand. Vor vier Jahren ließ Finanzminister Speer einmal die Katze aus dem Sack: Das Land habe jahrelang mit mehr Geld gerechnet, als wirklich eintrudelte. Speer gab zu, dass seit 2001 rund 1,8 Milliarden Euro in den Kassen fehlen, auf die sein Ressort eigentlich spekuliert hatte. Nur in den beiden Jahren zuvor habe das Land 220 Millionen Euro mehr eingenommen als erwartet.
Einer Bertelsmann-Studie zufolge muss das Land Brandenburg im Jahr 2019 bei einem Haushaltsvolumen von 7,5 Milliarden Euro rund zwei Milliarden Euro Zinsen zahlen. Hinzu kommen noch mindestens 500 Millionen Euro für Pensionen. Bislang waren Bundesergänzungszuweisungen der Rettungsanker. Sie machten rund 19 Prozent der Einnahmen des Landes aus. Damit wurde das Schlimmste abgewendet. Doch gehen diese Zuschüsse von genau dem laufenden Jahr an deutlich zurück. Weil darüber hinaus das Land innerhalb der kommenden 15 Jahre mit einem Bevölkerungsrückgang von sieben Prozent konfrontiert ist, wird es zu rückläufigen Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich kommen.
Dass eine solche Situation eintritt, in der Politik durch Krisenmanagement und Mangelverwaltung ersetzt werden muss, ist logische Folge der bisherigen Finanz- und Verschuldungspolitik, in der das Land beständig über seine Verhältnisse gelebt hat. Ein Hohn, dass CDU-Innenminister Jörg Schönbohm 2004 behauptete, die Sozialisten dürften nicht in die Regierung kommen, weil sie nicht mit Geld umzugehen verstünden. Seine Partei hatte bis dahin bewiesen, dass sie selbst es nicht kann. Die Verschuldung war gestiegen.
Was in der jetzigen Lage von der LINKEN in einer möglichen rot-roten Regierung tatsächlich durchgesetzt werden kann, ist die Frage, die vor Fraktionschefin Kerstin Kaiser und der von ihr angeführten Verhandlungsgruppe steht. Kann ein Politikwechsel tatsächlich stattfinden, oder bleibt nur, ihn vorzutäuschen? Immerhin bewies die LINKE Weitsicht. Sie machte früher als alle anderen darauf aufmerksam, dass an einer Neuverschuldung erst einmal kein Weg vorbeiführen werde. Und immerhin spricht für Rot-Rot, dass Sozialisten in der Bundesrepublik in der Regel jeweils dann ans Ruder kommen, wenn die Karre in den Dreck gefahren ist. Dann winkt ihnen die undankbare Aufgabe der Sparkommissare.
Die Finanzen nannte der preußische König Friedrich II. einmal die »Nerven des Staates«. Siegen werde, »wer den letzten Taler in der Tasche findet«.
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