Spuren bleiben
Oper Leipzig: Luigi Nonos »Al gran sole«
Unter der großen Sonne von Liebe beladen« – angefangen mit diesem Titel aus einem Gedicht Arthur Rimbauds über die Quellen der Texte bis zu Analysen über das musikalische Material kann man sich Luigi Nonos »Theatralische Aktion in zwei Teilen« gut als Publikumsschreck vorstellen. Aber am Ende nichts als Beifall. Regisseur Peter Konwitschny hatte in den Hintergründen, Tiefen, Lücken der komplexen Partitur und des aus Briefen und Traktaten, Aussprüchen, Versen und Stücken collagierten Textbuches jeden Hinweis auf Theatertaugliches aufgespürt. Das Stück ist eine Liebeserklärung an die Frauen in der Revolution. Alles dient zum Beweis des Che-Guevara-Zitats »die Schönheit steht der Revolution nicht entgegen«.
Wie der Text kennt die Musik keine klassische Entwicklung, kreist in ständigen Rückbezügen kommentierend und kontrastierend um den jeweiligen szenischen Gedanken. Sie besteht zu einem großen Teil aus neu verarbeiteten Rückgriffen auf eigenes Material, abstrakt gearbeitet, aber nicht selten ganz illustrativ gemeint: Schüsse und Schreie, engelsreine Trostklänge. Dazu das tatsächliche Leben mit seinen Liedern: die Internationale, »Bandiera rossa«, die kubanische Hymne, ein russisches Arbeiterlied – manchmal in winzigen Fetzen, manchmal als geschlossene Chorabschnitte.
Im Vorspiel spannt sphärische Tonbandmusik einen Kosmos über alle irdischen Kämpfe. Helmut Brade hängte ein Glühbirnen-Firmament über die mit sargartigen Holzkisten vollgestellte Bühne. In einem Glashaus sitzen zwei bezopfte Mädchen im Bett und spielen Revolution – mit Pfeil und Herzchen für Che Guevara. Tamara Bunke und eine Communardin erscheinen, aus den Särgen stehen die Toten auf, die Mädchen müssen erwachsen werden. Konwitschny lässt dies ganz naiv spielen und entfaltet zwischendurch ein Welttheater vom Kasperlespiel bis zum großen revolutionären Oratorium. Erholsam, wie er ironisch Abstand schafft, wenn Pathos wuchert.
Der zweite Teil holt den Revolutionsglanz ins Wohnzimmer, in die Familie, die Fabrik. Die Romantik ist vorbei, Arbeitslast verzehrt, Betonmauern zerquetschen die Menschen, Auflehnung bedeutet Grausamkeit und Tod. Mit derselben Sorgsamkeit wie der Regisseur ging auch Johannes Harneit am Pult des Gewandhausorchesters zu Werke. Aus beider Präzision erwuchs eine eindringliche Interpretation. In ihrer geistigen Freiheit und Intelligenz evozierte sie: Trauer über die in der Weltgeschichte vertane Chance. Der Epilog aber bedeutet: Es bleibt eine Spur.
Die Besetzungsliste ist unendlich, da Nono Stimmen und Personen mischt und unterschiedlich besetzt. Konwitschny und Harneit schälten ein Ensemble von fünf Frauen heraus, die in jeder Szene staunen ließen. Himmelhohe Soprantöne und singdarstellerische Intensität faszinierten. Alle sangen so berückend, als wäre es eine Bellini-Oper.
Draußen rüstete sich die Heldenstadt zu ihrem Feiertag. Vor 20 Jahren blieb die Montagsdemonstration am 9. Oktober friedlich.
Nächste Vorstellung: 10.10.
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