Sarrazin in Richterrobe
Protestanten sollen sich heute der Öffnung gegenüber dem Islam in Deutschland genauso entgegenstellen, wie sich einige von ihnen vor 75 Jahren den Nazis und der Staatsgläubigkeit der »Deutschen Christen« widersetzt hatten. Diese Forderung erhob der Präsident des Verfassungsgerichtshofs von NRW, Michael Bertrams, dieser Tage in einer öffentlichen Rede in Münster. Dort sollte an die Barmer Erklärung von 1934 erinnert werden, die als Beginn theologischer Opposition gegen das NS-Regime interpretiert wird. Der Richter präzisierte, dass er gläubige Muslime vom staatlichen Schuldienst generell ausschließen würde, weil der Islam im Widerspruch zum Grundgesetz stehe.
Dass der oberste Richter von NRW ausgerechnet die Ausgrenzung von Menschen als Fortsetzung des Widerstandes gegen das NS-System ausgibt, ist perfide, hat aber System. Rechte Islamhasser feiern seitdem Bertrams in Internetforen schon als Kämpfer für die Meinungsfreiheit. So wie den ehemaligen Berliner Senator Sarrazin, dem seine Breitseite gegen Migranten kürzlich einen leichten Machtverlust bei seinem neuen Arbeitgeber, der Bundesbank, eintrug.
Kann Bertrams noch oberster Interpret der Verfassung bleiben, wenn er eine ganze Bevölkerungsgruppe ausgrenzen will? Wichtiger aber noch als die Antwort auf diese Frage sind die Reaktionen auf seinen Vorstoß. Erfreulicherweise hat nicht nur die GEW Widerspruch angemeldet. Auch die »Zeit« und das NRW-Schulministerium haben Bertrams heftig widersprochen. Dass nur wenige Tage vor Bertrams Brandrede das Verwaltungsgericht Münster den von der NRW-Landesregierung verabschiedeten Gesinnungstest für muslimische Studierende für verfassungswidrig erklärte, ist ebenso erfreulich.
Doch eine Entwarnung ist das keineswegs. In Teilen der Bevölkerung fallen Sarrazins und Bertrams Hetze auf fruchtbaren Boden.
Der Autor ist freier Journalist und lebt in Berlin.
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