Wirtschaft mit Schwarz-Gelb zufrieden

Lob von Arbeitgebern und Industrie – und Lust auf noch mehr »Reformen«

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach dreiwöchigen Beratungen hat die künftige schwarz-gelbe Regierung ihren Koalitionsvertrag präsentiert. Und weil in dem 124-Seiten-Werk sowohl CDU, als auch CSU und FDP zufrieden die Handschriften ihrer Parteien deutlich verewigt sehen, brachte es ihnen viel Lob von der Wirtschaft – und viel Widerspruch von Opposition, Verbänden und Gewerkschaften – ein.

Während SPD, Grüne, LINKE, Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbände den Kolitionsvertrag als Dokument der sozialen Kälte klassifizierten, sind die Wirtschaftsspitzen des Landes allesamt zufrieden. Und haben Lust auf mehr von dem, was sie Reformen nennen. »Ein Schritt in die richtige Richtung«, lobt der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Peter Keitel, und mahnt noch mehr Mut an. Der Mittelstand, die Chemieindustrie, der Hotel- und Gaststättenverband – sie alle machen Impulse und gute wie ausbaubare Reformansätze aus. Etwas vorsichtig erbitten die einen »mehr Reformmut«, andere formulieren ihre Forderungen direkt und forsch.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt gehört zu letzten Sorte. Er sieht einen »guten Kompass« für die nächsten Jahre und zeigt sich besonders froh, »dass Union und FDP sich zum Vorrang der Tarifautonomie vor staatlicher Lohnfestsetzung bekennen« – also wie er und die meisten Arbeitgeber auch nichts von gesetzlichen Mindestlöhnen halten. Auch den »Einstieg in die Entkoppelung der Kosten für Gesundheit und Pflege vom Arbeitsverhältnis« findet Hundt Klasse. Endlich würden die drängenden Finanzierungsprobleme in der Sozialversicherung angegangen. Allerdings ist der Arbeitgeberpräsident auch ein wenig unzufrieden mit seiner Wunschkoalition: »Leider hat die Koalition keine weitergehenden Schritte zur Flexibilisierung des Arbeitsrechts beschlossen«. Damit allerdings hat Hundt rechnen müssen, nachdem die alte und neue Kanzlerin Angela Merkel den Gewerkschaften schon vor der Wahl in die Hand versprochen hatte, dass sich bei Kündigungsschutz und Mitbestimmungsfragen nichts ändern werde.

Aber steter Tropfen höhlt den Stein, weiß Hundt. Und setzt vermutlich auf den neuen Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, der aus der FDP kommt und nicht umsonst als »Mister Mittelstand« gilt. Vielleicht hofft der Arbeitgeberpräsident, dass der womöglich ein Papier recycelt, mit dem der ins Verteidigungsressort gewechselte Ex-Wirtschaftsminister aus der CSU, Karl Theodor zu Guttenberg, dereinst im Sinne der Wirtschaftsverbände auch geltendes Arbeitsrecht »flexibilisieren« wollte. Das brachte ihm aber immerhin so viel Ärger ein, dass er den Entwurf zurückzog.

Die CSU ist es jetzt jedenfalls, die in der neuen Koalition insbesondere in der Gesundheitspolitik eine »soziale Wächterrolle« übernehmen will, hat Bayerns Gesundheits- und Umweltminister Markus Söder gestern klargemacht. »Der medizinische Fortschritt dürfe nicht allein von Arbeitnehmern und Rentnern finanziert werden, stellte er schon mal große Debatten um die Gesundheitsreform in Aussicht. Aber zunächst hat Söder einen Erfolg für die CSU bei den koalitionären Verhandlungen ausgemacht: CSU-Chef Horst Seehofer habe gut für Bayern verhandelt, die zentralen Wahlversprechen würden gehalten.

Ähnlich sieht das auch Guido Westerwelle für die FDP. »Wir halten nach der Wahl, was wir vor der Wahl versprochen haben«, kriegte er sich gestern Nachmittag auf dem FDP-Sonderparteitag fast nicht mehr ein. In den Verhandlungen mit der Union habe die FDP alle ihre Kernforderungen durchgesetzt. Dass Westerwelle in der Nacht zum Samstag noch einmal wegen der Steuerstufen tüchtig gezickt hat und auch in einem Vier-Augen-Gespräch mit Merkel zunächst nicht gezähmt werden konnte, wusste »Spiegel online« zu berichten. Erst nachdem eine unkonkrete Formulierung zum Umbau des Einkommenssteuertarifes zu einem Stufentarif ausgetüftelt worden sei, habe man um 2.12 Uhr den endgültigen Abschluss hinbekommen.

Nachdem die FDP gestern fast einstimmig (ohne Gegenstimmen bei fünf Enthaltungen) den Vertrag von 600 Parteitagsdelegierten absegnen ließ, müssen heute die Verhandlungsführer von CDU und CSU den Segen ihrer Parteien einholen, bevor sich am Dienstag der neue Bundestag konstituiert. Und der durch derlei Protokolltermine unterbrochene Streit zwischen den Koalitionären kann weitergehen.

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