Lage vieler Häftlinge in Europa ist verzweifelt
20-Jahres-Bilanz des europäischen Anti-Folter-Komitees
Vor 20 Jahren wurde das Anti-Folter-Komitee des Europarats gegründet. Seine Bilanz ist zwiespältig.
Verdreckte und überfüllte Zellen, Aids und Tuberkulose in Gefängnissen, Misshandlungen in psychiatrischen Anstalten, Brutalitäten auf der Polizeiwache. Auf diese und ähnliche Missstände hat das Anti-Folter-Komitee des Europarats seit seiner Gründung vor 20 Jahren immer wieder hingewiesen. Und auch in den kommenden Jahren werden seine Mitglieder wohl alle Hände voll zu tun haben. Denn die Lage vieler Häftlinge in Europa ist nach wie vor verzweifelt, wie die Delegationen bei ihren Inspektionsreisen regelmäßig feststellen.
Zwar habe sich die Lage in einigen Staaten verbessert, meint Renate Kicker, Vizepräsidentin des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, wie die Einrichtung korrekt heißt. Etwa in der Türkei, die nicht zuletzt wegen ihres erhofften EU-Beitritts verstärkt gegen Folter vorgehe. Als Erfolg sei auch zu werten, dass Frankreich nach mehreren kritischen Berichten nun einen Inspektor für den Strafvollzug ernannt habe. »Wir hoffen, dass dies die alarmierende Situation in vielen Gefängnissen verbessern wird«, betont die Juraprofessorin aus Graz.
Anderswo würden Festgenommene vor Brutalitäten immer weniger geschützt, stellt das Komitee in seiner 20-Jahres-Bilanz fest. Ein Grund seien teilweise drastische Anti-Terror-Gesetze, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verabschiedet wurden. In Großbritannien etwa wurde der Polizeigewahrsam ohne Anklage für mutmaßliche Terroristen auf 28 Tage verlängert.
Mitglieder des Komitees – Strafvollzugsexperten, Ärzte, Psychiater und Juristen aus den 47 Europaratsländern – haben mehr als 270 Inspektionsreisen unternommen, seit es sich am 13. November 1989 zur ersten Sitzung zusammenfand. Gemäß dem »Europäischen Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung« dürfen sie Orte besuchen, an denen Menschen gegen ihren Willen festgehalten werden, wie Polizeiwachen, Gefängnisse, psychiatrische Anstalten oder Abschiebelager.
Die Experten können dort mit Insassen sprechen, sie ärztlich untersuchen und Akten einsehen. Dabei stellten sie unzählige Missstände fest, vereinzelt auch Fälle von schwerer Folter. In Rumänien enthüllten Krankenakten, dass Häftlinge verhungert waren. In türkischen Gefängnissen fanden die Inspektoren Foltergeräte, in Russland wurden Menschen auf Polizeiwachen an Heizkörpern festgebunden und mit Plastiktüten fast erstickt.
In Finnland etwa dürfen Häftlinge nachts keine Toilette benutzen, in Österreich und der Schweiz berichteten Festgenommene von Polizisten, die sie mit Faustschlägen und Fußtritten traktierten. In Deutschland beanstandete das Komitee unzumutbare Haftbedingungen für Abschiebehäftlinge, lange Isolationshaft und Brutalitäten der Polizei.
Was die Delegationen erfahren, fassen sie in Berichten an die betroffene Regierung zusammen. Diese dürfen nur mit deren Zustimmung veröffentlicht werden. Nur dank dieser Klausel wurde erreicht, dass alle 47 Europaratsländer dem Anti-Folter-Abkommen beigetreten sind.
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