Wie prima ist das Klima in Washington?

Von der Kanzlerin werden nicht nur Erinnerungen an 1989 erwartet

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 4 Min.
Dem Bundestag blieb Angela Merkel nach ihrer Wiederwahl bisher eine Regierungserklärung schuldig. Dafür redet die Kanzlerin heute 25 Minuten lang vor beiden Häusern des Kongresses in Washington. Zuvor trifft sie Präsident Barack Obama, um über Klimaschutz, Sicherheitspolitik sowie die Finanz- und Wirtschaftskrise zu sprechen.

Alles baggern half nicht, Präsident Obama kommt nicht zu den Feierlichkeiten 20 Jahre nach dem Mauerfall. So ist der prestigeträchtige Auftritt von Angela Merkel vor Repräsentantenhaus und Senat auch ein bisschen Entschädigung. »Die Ehre, vor beiden Kammern des Kongresses zu reden, ist außerordentlich groß«, meint Stephen Szabo vom »German Marshall Fund« in Washington. Im fein ziselierten diplomatischen Protokoll steht sie ganz oben. Und sie bietet der Kanzlerin aus Ostdeutschland Gelegenheit, den USA für die Unterstützung bei der deutschen Wiedervereinigung zu danken. Ihr jüngster Video-Podcast gab schon einen blumigen Vorgeschmack.

Der Herr im Weißen Haus hat derweil ganz andere Sorgen. Denn ein Jahr nach seinem triumphalen Wahlsieg wird die Bestimmung der Gouverneure von Virginia und New Jersey nicht nur von den Republikanern zur Abstimmung über den Präsidenten stilisiert – zumal es nicht gut aussieht für die Demokraten, die bisher in beiden Bundesstaaten regiert haben.

Zu den innenpolitischen Streitthemen – wenn auch mit Abstand zum teilweise absurden Theater um die Gesundheitsreform – gehört der Afghanistan-Krieg. Und damit dürfte sich der Gast aus Berlin schnell in den Niederungen verfehlter Politik wiederfinden. Denn Washington drängt immer stärker auf mehr deutsche Soldaten am Hindukusch. Die Obama-Regierung sähe es gern, »dass Deutschland die Vorbehalte und Beschränkungen für den Einsatz der Bundeswehr aufhebt, anerkennt, dass dies ein Kampfeinsatz ist und nicht nur Entwicklungshilfe«, sagt Szabo. Die Kanzlerin dürfe keine Zusagen machen und »den Bundestag nicht vor vollendete Tatsachen stellen«, betont dagegen Wolfgang Gehrcke, Obmann der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss. Ob Angela Merkel umgekehrt genau so stark den Abzug der letzten US-amerikanischen Atomwaffen aus der Bundesrepublik thematisiert und damit auch das Lieblingsprojekt ihres neuen Außenministers, bezweifeln Beobachter. Dabei sollten die Chancen nach der Obama-Vision von einer atomwaffenfreien Welt eigentlich gut stehen.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wiederum hat an die Kanzlerin appelliert, in ihrer Rede Abgeordnete und Senatoren aufzurufen, den Widerstand gegen eine Entlassung von Guantanamo-Gefangenen in die USA aufzugeben, und zugleich ein konkretes Angebot zur Aufnahme von Insassen in Deutschland zu machen. Aber auch bei den Iran-Sanktionen, der Finanzmarktregulierung und in Klima-Fragen gingen die Einschätzungen auseinander, sagt Jackson Janes, Direktor des Amerikanischen Instituts für Gegenwartsbezogene Deutschland-Studien (AICGS) in Washington. Fünf Wochen vor Beginn des Weltklimagipfels will Merkel vor allem bei der Vorbereitung auf Kopenhagen den Schulterschluss mit Obama suchen. Allerdings trifft sie dabei im Kongress auf besonders viele Bremser, und auch sie selbst hat nach den schwachen Vorgaben des EU-Gipfels allzu wenig im Gepäck. Am Donnerstag wird ihr in Washington der neue Außenminister Guido Westerwelle zum Antrittsbesuch folgen.


Zahlen und Fakten - Ritterschlag für Staatsgäste

Silvio Berlusconi hat es getan, Nicolas Sarkozy auch. Und Vaira Vike-Freiberga, die damalige lettische Präsidentin, als letzte Frau. Der erste war der Hawaiis König Kalakaua. Mit ihm begann 1874 die Würdigung eines ausländischen Ehrengastes durch eine Rede vor dem Kongress in Washington. Das US-Parlament besteht aus zwei Kammern: dem Repräsentantenhaus mit 435 Sitzen und dem Senat, in den jeder Bundesstaat ungeachtet seiner Größe zwei Vertreter entsendet. Im Regierungsalltag bilden Präsident, Senat und Repräsentantenhaus ein Machtdreieck, durch ein Geflecht gegenseitiger Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten miteinander verbunden. Auch Barack Obama kann nur effektiv regieren, wenn er eine Kongressmehrheit hinter sich hat.

Die Rede auf einer gemeinsamen Sitzung beider Häuser gilt als eine Art Ritterschlag für Staatsgäste. Allerdings traf der auch schon manch wenig ehrwürdigen Staatsmann, etwa den philippinischen Machthaber Ferdinand Marcos (1966), Liberias Präsident William Tolbert (1976) oder Irans Schah Resa Pahlavi (1962), einen von bislang elf Monarchen. Auch Hawai brachte die Ehrung kein Glück: Erst musste König Kalakaua seine Rede verlesen lassen, weil ihn eine Migräne quälte. Und 19 Jahre später bereitete die aufsteigende Großmacht der Monarchie auf der Inselkette ein jähes Ende und schluckte Hawai.

Bislang hielten 103 ausländische Würdenträger eine vor allem in ihrer Heimat beachtete Ansprache, darunter erst zehn Frauen. Angela Merkel vertritt Deutschland nicht als erste in einer gemeinsamen Sitzung auf dem Kapitol. Vor ihr standen dort bereits die Bundespräsidenten Theodor Heuss (1958), Walter Scheel (1975), Karl Carstens (1983) und Richard von Weizsäcker (1992). Aber noch kein Bundeskanzler, denn als vor 42 Jahren Konrad Adenauer geladen war, hielt er in den beiden Häusern getrennte Ansprachen. Sta

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