Grenzgebiete

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Buch als Gesprächsanlass – um mit Kindern oder Enkeln über etwas zu reden, wonach sie vielleicht nie fragen würden: die DDR, die BRD und wie die beiden deutschen Staaten zusammenkamen. Am Beginn der Bildgeschichte steht auch eine solche Situation. Jana, die Ich-Erzählerin, und ihr jüngerer Bruder schauen aus Bayern, wo sie inzwischen wohnen, nach Thüringen. Im einstigen Grenzgebiet wollen sie ein Lagerfeuer machen. »Kannst du dich eigentlich noch an die DDR erinnern?«, fragt Jana. »Nee, fast gar nicht. Erzähl mir doch davon, bis die Würstchen fertig sind!«

Was kann eine Elf-, Zwölfjährige von der DDR wissen? Das, was sie selbst erlebt und das, was man ihr erzählt hat. Selbst wenn sie älter wäre – wie die Autorin, die in Zwickau aufgewachsen ist, mit den Eltern Ende der 80er Jahre in die BRD ausreiste, in Hamburg Gestaltung studierte und schon einige Erfahrungen mit Buchillustrationen und Comics hat –, selbst dann würde ihr wohl vor allem Anekdotisches einfallen, das sich inzwischen konserviert hat. Es gibt einen Kanon von DDR-Erinnerungen – 17. Juni, Mauerbau, Stasi, Schlangestehen. Das trifft zu und kann auch in diesem Buch nicht fehlen. Auch wenn man das, was Medien heute unter »Aufarbeitung« verstehen, selbst so nicht empfunden hat, ohne die Gründe, warum viele ihrer Bürger die DDR am Ende nicht mehr akzeptierten, kann kein stimmiges Bild dieser 40 Jahre entstehen.

Die Autorin hat sich bemüht, so viele Details wie möglich in ihre Bilder und Texte hineinzubekommen. Ihr sind ausdrucksstarke Zeichnungen gelungen. Sie hat ganz persönliche Situationen aus ihrem Gedächtnis hervorgeholt und zu einem stimmigen Bild fügen wollen. Das sollte in keinem Moment belehrend wirken, sondern die Leichtigkeit eines Gesprächs zwischen Geschwistern behalten. Sie hat um Vielschichtigkeit und Differenzierung gerungen, das merkt man. Am Fuß mancher Seiten stehen historische Hintergrundinformationen, für deren fachliche Prüfung sie Prof. Dr. Bernd Lindner vom zeitgeschichtlichen Forum Leipzig dankt. Dass dabei vieles fehlt, war allein schon der Kürze wegen zu erwarten. Erwachsenen, die dieses Buch mit Kindern anschauen wollen, sei als Zusatzlektüre Daniela Dahns »Wehe dem Sieger« empfohlen.

Was Claire Lenkova geschaffen hat, wird vom Verlag »Sachcomic« genannt. Von einer Kindheit mit Höhen und Tiefen erzählt Jana dem Bruder, in der sich durchaus nicht alles politisch motiviert. Dabei betrifft der Titel »Grenzgebiete« auch das Leben der Autorin selbst: Claire Lenkova steht zwischen zwei Prägungen, von der sich die durch die BRD als stärker erwiesen hat. So wird es allen gehen, die nach 1980 geboren sind. Es ist normal, dass Generationen verschiedene Erfahrungsschwerpunkte haben. Und es wäre gut, wenn sie sich darüber mehr austauschen würden. Denn von den Älteren hat sich doch jeder – so oder so – sein Bild von der Vergangenheit gemacht, an dem festzuhalten auch Lebenssicherheit bedeutet. Da ist es gut, wenn es jüngere Menschen gibt, die einem Fragen stellen – nicht nur für diese Jüngeren, die etwas lernen sollen, sondern auch für die Älteren, um geistig beweglich zu bleiben.

Claire Lenkova: Grenzgebiete. Eine Kindheit zwischen Ost und West. Gerstenberg. 48 S., geb., 14,90 €.

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