Afghanistan: Bomberleitung nun in Echtzeit

Deutsche Luftwaffe hat nachgerüstet / NATO-Bericht über Tankwagenangriff nach wie vor geheim

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Der NATO-Bericht über den von Bundeswehr-Oberst Georg Klein am 4. September angeordneten Luftangriff bei Kundus ist geheim. Doch das bedeutet nicht, dass man individuelle und politische Schuld am Tod von bis zu 142 Menschen nicht benennen könnte. Derweil gerät Deutschland noch tiefer in den Krieg. Die Luftwaffe fliegt Aufklärung mit neuem Gerät.

Der Bericht über den Luftangriff vom 4. September auf zwei gekaperte und in einer Furt steckende Tanklaster ist geheim. Die Bundesregierung hatte um Nachsicht gebeten, um die Bundeswehr nicht zu hart ins »Gebet« zu nehmen – jetzt, da man sich in Afghanistan immer mehr in Kämpfe verstrickt. Nur die Bundestag-Fraktionschefs dürfen sich über die möglichen Verfehlungen des deutschen Befehlshabers in Kundus informieren. Doch nichts ist so geheim, als dass es nicht doch öffentlich wird. Weshalb der neue Verteidigungsminister, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), die NATO gebeten haben soll, zu prüfen, ob nicht wesentliche Teile der Untersuchung für jedermann einsichtig verfasst werden können.

Der Verteidigungsexperte der Linksfraktion im Bundestag, Paul Schäfer, bestärkt den Minister in seiner Bitte. »Auch wenn einige Teile geschwärzt würden, hätte die Öffentlichkeit so doch mehr Möglichkeiten, darüber zu befinden, was der Minister nun selbst als Krieg benennt.«

Tatsache ist, dass der kommandierende Offizier am Boden, eben jener Oberst Klein, die Forderung nach Luftnahunterstützung (Close Air Support, CAS) mit einer Feindberührung eigener Soldaten begründete. Ein solches »Troops in Contact« (TIC) gab es jedoch nicht. Klein hatte nur die Auskünfte eines afghanischen Informanten, als er die Bomber rief. Die Piloten der beiden US-Kampfjets vom Typ F-15 hätten – getreu der NATO-Vorgaben – mehrfach vorgeschlagen, vor einer Bombardierung im Tiefflug über die um die Tanklaster versammelten Menschen hinwegzudonnern. »Show of Force« nennt man das »Flügelspreizen«, zumeist reicht das überlegene Signal, um Gegner zum Rückzug zu bewegen. Doch Klein hat striktes Bombardement befohlen.

Damit hat er sowohl gegen die ISAF-Regeln für einen solchen Luftschlag als auch gegen den jüngst vom ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal vorgegebenen Geist einer größtmöglichen Schonung der Zivilbevölkerung verstoßen. Die politische Verantwortung für solches Handeln, so sagt Paul Schäfer, liegt jedoch nicht bei Klein, sondern bei der politischen Führung in Berlin.

Es ist wohl kein Zufall, dass nato.tv – der offizielle Fernsehkanal der Allianz – gerade jetzt, da die Kriegsführung der NATO-geführten ISAF durch Klein in Kritik geraten ist, einen Bericht über »Controllers« anbietet. Das sind jene US-Luftwaffensoldaten, die vom Boden aus die Wirkung der Luftangriffe bewerten, und denen seit McChrystals Kommandoübernahme das Schicksal der afghanischen Zivilbevölkerung angeblich besonders am Herzen liegt.

Doch Bomberleitung beginnt bereits bei der Aufklärung. Die Deutsche Luftwaffe hat – per Bundestagsbeschluss – sechs Aufklärungs-Tornados, zehn Besatzungen und zahlreiche Bodendienstler in Afghanistan im Einsatz. Bislang konnten sie im NATO-Auftrag nur ausgewählte Gebiete auf herkömmliche Art fotografieren. Nach der Landung vergingen 60 Minuten, bevor die Filme zur Auswertung gelangten.

Seit rund drei Wochen jedoch haben die Maschinen neue Aufklärungspods am Rumpf, deren digitale Aufnahmen in Echtzeit und – laut Aussage von Experten des Aufklärungsgeschwaders 51 – in besserer Auflösung übermittelt werden. Damit erhalten die deutschen Aufklärungsergebnisse wesentlich mehr Wert für die nun anfliegenden Kampfjets. Das neue Verfahren ist unspektakulär für die deutsche Öffentlichkeit wie für die Abgeordneten. Ob weniger tödlich, ist zu bezweifeln.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.