Strauss und Ei

Stefan Herheim und der »Rosenkavalier«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 2 Min.
Strauss und Ei

Beim Schlussjubel in Stuttgart machte Stefan Herheim ein paar Luftsprünge, die gut zur Inszenierung passten. Denn der Norweger, Regisseur des Jahres und derzeit Darling von Feuilleton und Publikum, hat dem guten, alten »Rosenkavalier« derart Komödianten-Beine gemacht und den tieferen Bedeutungsmarsch geblasen, dass es eine Schau- und Amüsierlust ist.

Kein Gag wird ausgelassen, keine Maskerade vermieden. Da funkeln hemmungslos die Sterne am blauen Firmament. Da schwebt, wer liebt, auf dampfenden Wolken. Da steht, wer sich verstellt und eine Rolle spielt, in einer tierischen Maske auf der Bühne. So kommt (als Intrigant) eine Kakerlake ins Schlafzimmer der Feldmarschallin. Sogar ein Strauß ist dabei. Zwar nicht der komponierende Richard, dafür aber ein tierischer Namensvetter. Der darf im Trubel des Morgenempfangs sogar ein Ei legen.

Die Marschallin, die noch vor dem ersten Ton den Spiegel zertrümmert, der über ihr Altern Buch führt, sowie Octavian und Sophie bleiben bei Herheim jene künstlich menschlichen Traumgestalten, die Hofmannsthal und Strauss so bewegend erfunden haben. Hier bewegen sie sich unter dem zum Bühnenbild geweiteten Reifrock der Marschallin zwar ausgiebig und immer perfekt durch die Musik beglaubigt. Doch sie bewegen den Zuschauer erstaunlicherweise am Ende nicht wirklich. Denn in all dem Bilderzauber bleiben gerade die berührenden Einsichten, Weisheiten und Sehnsüchte der Marschallin auf der Strecke.

Herheim lockert den »Rosenkavalier« aus der Verankerung, lässt ihn schweben. Das ist faszinierend, klemmt aber nicht nur beim Bühnenbild von Gesine Völlm ab und an. Es geht dem Regisseur nicht nur um die Sicht der Marschallin, sondern vor allem um das erotische Credo des Ochs und dessen Einbruch in ihre Welt, bei dem ein Pan zum Spielmacher wird. Am Ende ist die Marschallin aus dem Spiel und sieht nur noch von der Loge aus zu: Kunst statt Liebe. Der Pan ist darüber so verzweifelt, dass er an den Scherben der zersprungenen Glasrose innerlich verblutet.

Musikalisch liefert der Stuttgarter Generalmusikdirektor Manfred Honeck zupackenden Strauss-Klang. Mit einer respektablen Christiane Iven als Feldmarschallin, einer prägnanten Marina Prudenskaja in der Titelrolle und der betörenden Mojca Erdmann als Sophie, denen ein wohltuend markanter Lars Woldt als Ochs auf Lerchenau gegenübersteht.

Nächste Vorstellungen: 11., 15.11.

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