Durchs Werk ein Riss
Berliner Philharmoniker musizierten Schönberg
Berlin ehrt Arnold Schönberg wie keine andere Stadt hierzulande. Daniel Barenboim, Ingo Metzmacher, Sir Simon Rattle stehen mit ihren Klangkörpern für eine entwickelte Schönberg-Pflege. Bedeutende Aufführungen gab es in der Philharmonie: »Gurrelieder«, »Pelleas und Melisande«, Werke der atonalen Phase, Violinkonzert, engagierte Werke wie »Ein Überlebender aus Warschau«. Wer vor einiger Zeit das Oratorium »Die Jakobsleiter« unter Kent Nagano gehört hat, dem dürften Werk und Interpretation haften geblieben sein.
Berlin steht auch in der Pflicht. Einmal wirkte Schönberg hier als Kompositionslehrer. Überdies dirigierte er hier eigene Werke, trat im Rundfunk auf, schuf Stücke, an dem sich die Geister schieden. Zum anderen avancierte Berlin zur Hochburg der Schönberg-Verunglimpfung. Nazis titulierten ihn als Kretin jüdisch-bolschewistischer Unmusik. 1933 behandelte die an die Macht geschobene Verbrecherbande auch den Juden Schönberg wie einen Verbrecher und warf ihn erst aus der Akademie, dann aus dem Land. Dass der sprachgewaltige Neuerer in Berlin seines Lebens nicht mehr sicher war, allein diese Tatsache verpflichtet.
Was dies alles mit dem philharmonischen Konzert zu tun hat? Sehr viel. Es rekurrierte auf einen neuralgischen Punkt. Bis zum Machtwechsel schrieb Schönberg radikale, herausfordernde Werke. Dann Jahre nicht mehr. Die Sprache versagte ihm offenbar angesichts der sich einrichtenden Barbarei. Stattdessen standen Bearbeitungen zu Buche: Bach, Händel, Brahms ... Eine Selbstbeschränkung, die geschmerzt haben muss. Genau dort setzt das Programm an. Vor allem die Eckwerke stehen hierfür. Die »Begleitmusik zu einer Lichtspielszene« op. 4, Musik zu einem imaginären Film, komponiert 1929/30, ist noch tätiger Avantgardismus. Ganz Rücknahme das Klavierquartett Nr. 1 g-moll op. 25 von Brahms, orchestriert 1937, erstmals aufgeführt vom Los Angeles Philharmonic Orchestra unter Otto Klemperer (Schönberg befand sich bereits im USA-Exil). Dazwischen das Monodram »Die Erwartung« op. 17, das Schönberg vor genau 100 Jahren zu Papier gebracht hat und das eins der ungeheuerlichsten Werke aus seiner Feder ist.
Eine Dreierkonstellation, die Situationen auf den Punkt bringt und durchaus in die Atmosphäre heutiger Verhältnisse hineinragt. Wie sie von den Philharmonikern unter Simon Rattle verwirklicht wurde, davor kann man nur den Hut ziehen. Die dreiteilige, im Morendo endende Begleitmusik, überschrieben mit »Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe«, mit ihren Untergangsfantasien und wütenden expressiven Ausbrüchen weist angstvoll in die Zukunft. Schreckliche Vorahnungen, böse Visionen sprechen sich darin aus.
Aus der atonalen Phase datiert die »Erwartung«. Sie erzählt eine scheinbar private Geschichte. Eine Frau alpträumt. Sie sucht ihren geliebten Mann im Licht des kalten Mondes und findet – von Eifersucht gepeinigt – nur die Bleichheit eines Toten. Verschiedene periodisch bis ins Extrem gehende Hitzegrade reiht die psychologisierende »Erwartung« aneinander. Ein Werk der Verzweiflung. Verfolgt man aufmerksam die Textur, wie sie von der alle Register ihres Könnens ziehenden Sopranistin Evelyn Herlitzius und den vom Fieberwahn des Werkes angesteckten Philharmonikern musiziert wurde, so fährt einem der Schrecken in die Knochen.
Kontradiktorisch dazu Schönbergs Orchestrierung des Brahmsquartetts. Sie wirkt ganz diesseitig, lebensbejahend. Bisweilen scheint der Reigen überbelichtet. Klavierthemata verwandelt die Bearbeitung in dickleibige Variationskomplexe. Markant das gestopfte Blech, die präparierte Harfe, sie schärfen und verfremden die Sinfonismen, die Schönberg setzt. Der Schlusssatz führt eine temperamentvolle Zingarese vor und entfaltet darüber eine Pracht der Farben und der Ausgelassenheit.
Tosender Beifall.
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