Innerer Zwang, Ehrgeiz
Zum heutigen 250. Geburtstag von Friedrich Schiller: Ein »unmögliches Interview« mit Goethe und ein Band mit Bittbriefen
ND: Herr Geheimrat, wie wirkte Schiller auf die Menschen? Friedrich Wilhelm Riemer sagt, der Bau seiner Glieder, sein Gang auf der Straße, jede seiner Bewegungen sei stolz gewesen, nur die Augen waren sanft.
Goethe: Ja, alles übrige an ihm war stolz und großartig, aber seine Augen waren sanft.
Bei aller Leidenschaft – ein kühler Autor?
Er griff in einen Gegenstand kühn hinein und betrachtete ihn und wendete ihn hin und her, und sah ihn so an und so, und handhabte ihn so und so. Er sah seinen Gegenstand gleichsam nur von außen an, eine stille Entwicklung aus dem Innern war nicht seine Sache. Deshalb war er auch nie entschieden und konnte nie fertig werden.
Sie sagen, sein Talent sei »recht fürs Theater geschaffen«.
Mit jedem Stück schritt er vor und ward er vollendeter; doch war es wunderlich, dass ihm noch von den »Räubern« ein gewisser Sinn für das Grausame anklebte, der selbst in seiner schönsten Zeit ihn nie ganz verlassen wollte.
Diese kritische Bemerkung will gar nicht zu Ihren, sagen wir ohne Arg: Schwärmereien passen.
Er war ein wunderlicher großer Mensch. Alle acht Tage war er ein anderer und ein vollendeterer; jedesmal wenn ich ihn wiedersah, erschien er mir fortgeschritten in Belesenheit, Gelehrsamkeit und Urteil.
Aber im Schreibtisch faule Äpfel!
Ich besuchte ihn eines Tages, und da ich ihn nicht zu Hause fand und seine Frau mir sagte, dass er bald zurückkommen würde, setzte ich mich an seinen Arbeitstisch – als ich von einem heimlichen Übelbefinden mich überschlichen fühlte, welches sich nach und nach steigerte, so dass ich endlich einer Ohnmacht nahe war … bis ich bemerkte, dass aus einer Schieblade neben mir ein sehr fataler Geruch strömte. Indes war seine Frau wieder hereingetreten, die mir sagte, dass die Schieblade immer mit faulen Äpfeln gefüllt sein müsse, indem dieser Geruch Schillern wohl tue und er ohne ihn nicht leben und arbeiten könne.
Wo lag Schillers eigentliche dichterische Produktivität, seine eigentliche poetische Kraft?
Im Idealen, und es lässt sich sagen, dass er so wenig in der deutschen als einer andern Literatur seinesgleichen hat. Ich hätte gerne gesehen, dass Schiller den Lord Byron erlebt hätte, und da hätt es mich wundern sollen, was er zu einem so verwandten Geiste würde gesagt haben.
Wenn Sie das Idealische ansprechen, ist es nicht weit zur Feier der Freiheit!
Durch Schillers alle Werke geht die Idee von Freiheit.
Eine Idee, die im Laufe eines Lebens Wandlungen unterworfen sein kann.
Diese Idee nahm eine andere Gestalt an, sowie Schiller in seiner Kultur weiterging und selbst ein anderer wurde. In seiner Jugend war es die physische Freiheit, die ihm zu schaffen machte und die in seine Dichtungen überging, in seinem spätern Leben die ideelle.
Sie haben über diese ideelle Freiheit Ihres besten Freundes einmal etwas im Grunde Furchtbares gesagt …
Dass die physische Freiheit Schillern in seiner Jugend so viel zu schaffen machte, lag zwar teils in der Natur seines Geistes, größtenteils aber schrieb es sich von dem Drucke her, den er in der Militärschule hatte leiden müssen. Dann aber in seinem reiferen Leben, wo er der physischen Freiheit genug hatte, ging er zur ideellen über, und ich möchte fast sagen, dass diese Idee ihn getötet hat …
Das ist es, was ich meinte.
Er machte dadurch Anforderungen an seine physische Natur, die für seine Kräfte zu gewaltsam waren.
Der Großherzog in Weimar bot Schiller ein Gehalt von jährlich tausend Talern an und erbot sich, ihm das Doppelte zu geben, falls Krankheit ihn niederwürfe und alle Erwerbsquellen also versiegten.
Schiller lehnte dieses letzte Anerbieten ab und machte nie davon Gebrauch. Ich habe das Talent, sagte er, und muss mir selber helfen können. Nun aber, bei seiner vergrößerten Familie in den letzten Jahren, musste er der Existenz wegen jährlich zwei Stücke schreiben, und um dieses zu vollbringen, trieb er sich, auch an solchen Tagen und Wochen zu arbeiten, in denen er nicht wohl war; sein Talent sollte ihm zu jeder Stunde gehorchen.
War er ein Asket?
Schiller hat nie viel getrunken, er war sehr mäßig; aber in solchen Augenblicken körperlicher Schwächen suchte er seine Kräfte durch etwas Likör oder ähnliche Spirituosen zu steigern. Dies aber zehrte an seiner Gesundheit …
Sie zögern, als wollten Sie noch etwas Unangenehmes sagen.
... Es war auch den Produkten selbst schädlich.
Den Stücken, die er schrieb?
Was gescheite Köpfe an seinen Sachen aussetzen, leite ich aus dieser Quelle her. Alle Stellen, von denen sie sagen, dass sie nicht just sind, möchte ich pathologische Stellen nennen, indem er sie nämlich an solchen Tagen geschrieben hat, wo es ihm an Kräften fehlte, um die rechten und wahren Motive zu finden.
Der innere Zwang, der Ehrgeiz, der Sog der Obsession!
Ich habe vor dem kategorischen Imperativ allen Respekt, ich weiß, wie viel Gutes aus ihm hervorgehen kann, allein man muss es damit nicht zu weit treiben, denn sonst führet diese Idee der ideellen Freiheit sicher zu nichts Gutem.
Warum sind Poeten oft schwächliche Körperwesen?
Das Außerordentliche, was solche Menschen leisten, setzt eine sehr zarte Organisation voraus, damit sie seltener Empfindungen fähig sein und die Stimmen der Himmlischen vernehmen mögen. Nun ist eine solche Organisation im Konflikt mit der Welt und den Elementen leicht gestört und verletzt, und wer nicht, wie Voltaire, mit großer Sensibilität eine außerordentliche Zäheit verbindet, ist leicht einer fortgesetzten Kränklichkeit unterworfen.
Schiller war ständig krank.
Als ich ihn zuerst kennenlernte, glaubte ich, er lebte keine vier Wochen.
Aber auch er hatte eine gewisse Zähheit.
Er hielt sich noch die vielen Jahre und hätte sich bei gesünderer Lebensweise noch länger halten können.
Wenn er etwas geschrieben hatte: War er verliebt in den Fluss der eigenen Verse, oder war der Dichter auch ein bereitwilliger Verdichter?
Man muss ein alter Praktikus sein, um das Streichen zu verstehen. Schiller war hierin besonders groß. Ich sah ihn einmal bei Gelegenheit seines »Musenalmanachs« ein pompöses Gedicht von zweiundzwanzig Strophen auf sieben reduzieren, und zwar hatte das Produkt durch diese furchtbare Operation keineswegs verloren.
Er war kein Freund öffentlicher Ehrungen.
Schiller war, wie sich bei seinem großartigen Charakter denken lässt, ein entschiedener Feind aller hohlen Ehrenbezeigungen und aller faden Vergötterung. Als Kotzebue vorhatte, eine öffentliche Demonstration zu seinem Ruhme zu veranstalten, war es ihm so zuwider, dass er vor innerem Ekel darüber fast krank wurde.
Und er hasste plötzlichen fremden Besuch.
Wenn er augenblicklich behindert war, ihn zu sehen, und er ihn etwa auf den Nachmittag vier Uhr bestellte, so war in der Regel anzunehmen, dass er um die bestimmte Stunde vor lauter Apprehension krank war. Auch konnte er in solchen Fällen sehr ungeduldig und wohl auch grob werden.
Johann Wolfgang Goethe, was ist das Ihnen liebste Erinnerungsstück an Schiller?
Seine Briefe sind das schönste Andenken, das ich von ihm besitze, und sie gehören mir zu dem Vortrefflichsten, was er geschrieben. Seinen letzten Brief bewahre ich als ein Heiligtum unter meinen Schätzen.
Was erzählt Ihnen dieser Brief?
Wie sein Urteil treffend und beisammen ist, und wie die Handschrift durchaus keine Spur irgendeiner Schwäche verrät, bei völligen Kräften ist er von uns gegangen. Dieser Brief ist vom 24. April 1805, Schiller starb am 9. Mai.
Würden Sie dem allgemeinen Urteil zustimmen: Goethe, der Aristokrat, Schiller der Bürger?
Man beliebt einmal, mich nicht so sehen zu wollen, wie ich bin, und wendet die Blicke von allem hinweg, was mich in meinem wahren Licht zeigen könnte.
Aha, nicht erst in der Mediengesellschaft, schon im klassischen Weimar hat Prominenz mit festgelegten Öffentlichkeitsbildern zu kämpfen. Sie fühlen sich fehleingeschätzt, gelten als volksfern!
Dagegen hat Schiller – der, unter uns, weit mehr ein Aristokrat war als ich, der aber weit mehr bedachte, was er sagte, als ich – das merkwürdige Glück, als besonderer Freund des Volkes zu gelten.
Neidisch?
Ich gönnte es ihm von Herzen und tröste mich damit, dass es anderen vor mir nicht besser gegangen.
Das Interview »führte« Hans-Dieter Schütt
Wir danken Herr Johann Peter Eckermann aus Weimar – alle Antworten sind Zitate aus seinen Gesprächen mit Goethe.
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