Aus der TV-Vorabendserie
Deutsches Theater Berlin: »Das goldene Vließ«
Was ich immer schon vermutet habe: Mütter sind potenzielle Terroristinnen, und Hausfrauen stehen immer kurz vorm Amoklauf. Bei Medea ist der Ausgang bekannt und Nina Hoss hat dem intimen Drama dieser Frau – es ist noch nicht lange her – hier am Deutschen Theater ein Gesicht gegeben, das sich einbrennt. Was kann nun selbiges Theater geritten haben, noch eine Medea – als Ausweis der neuen Ära des Intendanten Ulrich Khuon – auf die Bühne zu bringen? Fataler Übermut oder reine Gedankenlosigkeit? Zwar nimmt man die Fassung von Franz Grillparzer »Das goldene Vließ«, aber der Mythos, der erzählt wird, ist immer noch der der gedemütigten Frau, die aus Hass auf ihren Mann Jason ihre beiden Kinder umbringt.
David Bösch rückt dem Mythos zu Leibe, in dem der Ehealltag von Medea und Jason in plattester Banalität wie schmutziges Abwaschwasser über die Bretter des Deutschen Theaters schwappt. Er bereinigt damit auch jeden Anflug von Theater. Vorabendserien-Soap-Realismus wird uns wie bloßer Abfall vor die Füße geworfen. So wenig Konzentration, so wenig Spannkraft, so wenig Sinn für Tragödie, kurz: so mieses Theater sah ich an diesem Hause lange nicht! Nicht alles, was irgendwo in der Provinz gerade Tagesmode ist, passt ans Deutsche Theater, das Versagen vervielfacht hier seine Wucht. Der Abend dauert nur 100 Minuten, aber schon nach fünf Minuten scheint es eine Ewigkeit. »Guck mich mal an!«, ruft Medea Jason entgegen, aber der mag da genauso wenig hinschauen wie wir. Küchengespräche zwischen Wäscheständer, Waschmaschine und aufgekitschtem Bühnenhintergrund (Rehkitz mit Plastestühlen!), der in all seiner Unaufgeräumtheit von Patrick Bannwald verbrochen wurde – das wird zum Müllplatz jeder Form von Ernst.
Die Darsteller vermögen es nicht, das Desaster zu verhindern, ja sie verstärken es noch. Eine so ausstrahlungsarme Schauspielerin wie Katrin Wichmann kann ich mich nicht erinnern, je an diesem Theater erlebt zu haben. Und auch bei Alexander Khuon als Jason, den man in den letzten Arbeiten bei Jürgen Gosch beeindruckend stark sah, kehrt sofort eine alte Schwäche wieder: Ohne wirkliche Mitspieler und von aller Regie verlassen wird er geradezu unsichtbar auf der Bühne. Welch eine lustlos-langweilige, vollständig überflüssige Veranstaltung!
Nächste Vorstellung: 30.11.
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