Die Biedersinnigen
»Sein oder Nichtsein« am Deutschen Theater Berlin
Es gibt ja Filmszenen, die sind unverwüstlich. Dazu gehört jene aus Ernst Lubitschs genialer Komödie über dem (Nazi-) Abgrund »Sein oder Nichtsein«. Der eitle »Hamlet«-Darsteller Joseph Tura schaut jedesmal entgeistert, wenn ein Zuschauer (immer der gleiche) wie aufs Stichwort den Raum verlässt, sobald er seinen großen Monolog beginnt. Was er nicht weiß: Dieser da geht zu seiner Frau, der Schauspielerin Maria Tura, in die Garderobe.
Die Dialektik der Schadenfreude lässt uns schon bei der Erinnerung an diese Szene lachen. Wüsste er die Wahrheit, wäre es wohl weniger bitter. Tura glaubt, einer will ihn nicht in seiner Paraderolle sehen! Daran geht er zugrunde – oder zumindest fast, schließlich ist er ein Schauspieler. Lubitsch ist mit »Sein oder Nichtsein« das Kunstgestück gelungen, verschiedenste Wirklichkeitsebenen so virtuos miteinander zu verknüpfen, dass man immer wieder verblüfft ist. Zuerst Warschau kurz vor dem Krieg, Probe von »Gestapo«, einer schauerlich schlechten Komödie mit der Schauspieltruppe von Joseph Tura. Dann Warschau im Krieg: Die Gestapo ist tatsächlich da, und das ist ein noch viel schlechteres Stück. Sie spielen jetzt nun ihre Komödie »Gestapo« mit der Gestapo – das ist für einen Schauspieler noch anderes, als wenn nur ein Zuschauer rausgeht. Die Atmophäre in »Sein oder Nichtsein«: lachen, während man vor Angst zittert. Tatsächlich spielt diese polnische Schauspieltruppe in der Rolle von Nazis die echten Nazis an die Wand.
Ein Widerstandsstück, ganz anders erzählt – hinreißend, den Film sollte jeder kennen. Dann gab es Jahrzehnte später ein Remake, das war so furchtbar, das ich die DVD einfach in den Mülleimer geworfen habe, weil mir nicht einfiel, wem ich solch eine geschmackliche Fehlleistung hätte schenken können – und nun bringt auch noch das Deutsche Theater eine Art Remake auf die Bühne. Sage niemand, man sei ahnungslos gewesen.
Ernst Lubitschs »Sein oder Nichtsein« ist neben Chaplins »Der große Diktator« der zweite Filmklassiker über die Stärke der Schwachen, die List des Humanen in verbrecherischen Zeiten. Eine Komödie über den Naziterror, das provoziert bis heute. Als die Dreharbeiten begannen, hielt man in den USA das Bild der mit beiläufiger Geste mordenden Gestapo-Leute im besetzten Warschau noch für eine Übertreibung. Als der Film 1942 in die Kinos kam – das war nach Pearl Harbour –, warfen ihm dieselben Leute Verharmlosung vor.
»Sein oder Nichtsein« besitzt eine raffinierte Dramaturgie. Es ist ein Doppel-Spiel von eitlen Bühnenchargen, die ständig andere und sich selbst betrügen – und hier doch zu den einzig echten Helden avancieren. Das sind die Helden bei Lubitsch: überhaupt nicht angetreten, um zu siegen, immer damit beschäftigt, der Katastrophe nachzudenken, warum jemand geht, wenn man gerade beginnt, seinen Monolog zu sprechen. Lubitsch rückt die Koordinaten zurecht, darin liegt das Subversive. Human ist, was sich nicht ums Ideologische schert – und sich doch niemals für Verbrechen missbrauchen lässt. Es sind Heroen der Verteidigung ihrer je eigenen Unvollkommenheit. Sie hätten hier alle viel lieber ihre Ruhe.
Diese Filmlegende auf die Bühne bringen zu wollen, das ist ungefähr so, als wollte man aus »Casablanca« ein Videospiel machen. Regisseur Rafael Sanchez hat es am Deutschen Theater dennoch gewagt – aber im Fortgang des Abends beginnt sich der Zuschauer zu fragen, wo denn hier das Wagnis ist. Nirgends. Treu und bieder wird jede Szene nachgespielt. Womit das Regie-Konzept von Herrn Sanchez aus Zürich den DT-Intendanten Ulrich Khuon wohl zu überzeugen vermochte? Man glaubt es kaum, doch am Ende ist es Gewissheit: Die Regie hat keinerlei Idee. Altbacken und abgestanden wirkt hier plötzlich der ganze Lubitsch. Es muss etwas mit der Abwesenheit von Kunst zu haben. Statt dessen: pures Kunstgewerbe, passgenau produziert für den Tourismusverband. Busreisen ins Deutsche Theater? Solch ausgepinseltes Boulevardtheater sieht man sonst eher im Theater am Ku'damm oder im Renaissance Theater. Die biedermeierliche Bühne von Simenon Meier vervollständigt das Unheil.
Interessant ist nun bloß noch die Frage, wie sich die Schauspieler zu retten versuchen. Jörg Gudzuhn als Gruppenführer Erhardt erweist sich dabei als unverwüstlich krachiger Komödiant – er schert sich kein bisschen um die Regie-Nullnumer, beißt sich von Szene zu Szene durch, sammelt dabei jede greifbare Pointe und jeden Lacher auf, deutet Abgründe an – mehr kann man kaum verlangen. Ebenso Ingo Hülsmann, der den verräterischen Professor Silewski auch gestisch ins Groteske treibt – was mehr an Konzept zeigt als die Regie. Michael Gerber hat den größten Auftritt seit vierzig Jahren an diesem Haus, es ist ihm zu gönnen. Auch Christoph Franken unterspielt als »Hamlet«-Deserteur zwecks Garderobenbesuch das Klischee des Liebhabers gekonnt. Ein Jammer um so viel verschenktes Spielpotential. Nur Maren Eggert (die großartig war als Marie im »Woyzeck») vermag es als Maria Tura nicht, aus dem Rollenklischee auszubrechen. Bernd Moss als Joseph Tura wischt immerhin momentweise den hier so völlig deplazierten UFA-Biedersinn beseite.
Nächste Vorstellung: 27.11., 19.30 Uhr
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