Ein Tschadori hindert nicht am Denken

Was Iraner über ihre und andere Regierungen meinen

  • Elke Windisch
  • Lesedauer: 7 Min.
Junge Frau mit Mobiltelefon in Teheran
Junge Frau mit Mobiltelefon in Teheran

»Bitte berühren Sie die Absperrungen nicht. Die Türen schließen sich dann automatisch und die Alarmanlage schaltet sich ein.« Höflich spult der Beamte den Spruch im Minutentakt ab. Fast ebenso häufig nimmt das Unheil dennoch seinen Lauf. Denn kaum einer kann der Faszination taubeneigroßer Smaragde und Rubine, hochkarätiger Brillanten, goldener Gefäße, Dolche und Prunkschwerter widerstehen. Sie füllen im Teheraner Sitz der Bank Melli, der Staatsbank, das gesamte Kellergeschoss. Weder Dresdens Grünes Gewölbe noch die Rüstkammer im Kreml haben so etwas zu bieten. Höchstens das Top-kapi-Serail in Istanbul, von wo die Osmanen-Sultane einst ein ähnliches Weltreich regierten wie die iranischen Safawiden.

Auf sie gehen auch die Spiegelräume zurück, ganz mit funkelnden Mosaiken aus Spiegelglas und Bergkristall ausgelegte Säle. Ihren Höhepunkt erreichte diese Kunst ausgerechnet unter der unfähigen Nachfolgerdynastie, den Kadscharen. Anfang des 19. Jahrhunderts machten sie Teheran zur Hauptstadt und tobten ihren pathologischen Hang zur Pracht bei der Fertigstellung des von den Safawiden begonnenen Golestan-Palastes aus. Der Glitzergigant steht für ein düsteres Kapitel iranischer Geschichte. Im Süden machten sich die Briten breit, im Norden die Russen. Sie verschoben die Grenze um 400 Kilometer, forderten astronomische Kontributionen und plünderten das Nationalheiligtum, die Bibliothek in Ardebil. Handschriften aus den Anfangsjahren der Safawiden-Dynastie, lagern seit 1828 in Petersburg.

Russland – Freund oder geringeres Übel

Historisch arg belastet, normalisierte sich das iranisch-russische Verhältnis erst spät: Mohammed Reza Schah, den die islamische Revolution 1979 ins Exil zwang, hatte in der Sowjetunion ein Gegengewicht zu Briten und Amerikanern gesehen. Und die jetzige Regierung sieht in Russland einen der wenigen Freunde. Moskau vollendet das Kernkraftwerk in Buschehr und verhinderte durch sein Veto eine schärfere Gangart gegen Teheran wegen dessen umstrittenem Atomforschungsprogramm. Wladimir Putin ist daher der beliebteste ausländische Politiker in Iran.

Hundertprozentig trauen könne man den Russen dennoch nicht, meint Taxifahrer Mehdi. Souverän steuert der Ingenieurstudent den Wagen durch die 14-Millionen-Stadt Teheran. Es ist der Tag nach der jährlichen Palästina-Demonstration. Sie wird vom Staat organisiert, der Zorn der Massen, der sich dabei gegen Israel und dessen Paten in Washington entlädt, ist dennoch echt. Besonders dem ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney kreiden die Teheraner an, dass er den Evergreen »Barbara Ann« im Freundeskreis zu »Bomb bomb Iran« verballhornt haben soll. Und todsicher, fürchtet Mehdi, stecke Israel hinter Russlands Weigerung, Verträge zur Lieferung von Raketenabwehrsystemen zu erfüllen. Daher könne Iran sich auch auf Uran-Anreicherung in Russland nicht einlassen, wie sie das Ausland fordert.

Für den Studenten ist Russland dennoch das geringste aller Übel. Weil die EU sich »in vorauseilendem Gehorsam« im Handel mit Iran ähnlich harte Beschränkungen auferlegte wie die USA sie schon 1979 nach dem Geiseldrama in ihrer Teheraner Botschaft beschlossen hatten. Für Mehdi unbegreiflich: »Westeuropa könnte allein durch den Iran-Handel die Rezession überwinden.«

Ganz schief liegt er damit nicht. Förder- und Verarbeitungsanlagen für Öl- und Gas sind verschlissen, Ersatzteile fehlen. Obwohl Iran nach Saudi-Arabien über die größten erkundeten Ölvorkommen verfügt, muss Benzin importiert werden. Für teure Devisen.

Verschreckt durch die Gewalt gegen Demonstranten nach den Präsidentenwahlen im Juni, bleiben auch Touristen weg. Wer sich dennoch auf die »Achse des Bösen« begibt, ist danach um ein paar Vorurteile ärmer.

Teheran erlebt einen Bauboom ohnegleichen. Der Fernsehturm, der dem Berliner verblüffend ähnlich wird, soll nächstes Jahr fertig sein. Über ein Dutzend Sender können die meisten Haushalte empfangen. Westliche allerdings nur, wenn sie reine Unterhaltung bieten. BBC oder dessen Farsi-Nachrichtenkanal sind meist nur in Hotels verfügbar.

Bei strenger Auslegung verbietet der Koran Bilder eigentlich. Das Regime hat deren Macht jedoch erkannt und nutzt sie: Großflächige Fotos von Präsident Mahmud Ahmadinedschad, dem geistlichen Oberhaupt Ali Chamenei und Revolutionsführer Ruhollah Khomeini springen Betrachter von Häuserwänden und Bauzäunen an. Mehr noch: Fotohandys und Digitalkameras sind, zumindest in Teheran, wo das Durchschnittseinkommen bei über 700 000 Toman – Anfang Oktober etwa 700 US-Dollar – liegt, durchaus bezahlbar und daher inzwischen so häufig anzutreffen wie in Westeuropa.

Auch die rigiden islamischen Bekleidungsvorschriften für Frauen sind lockerer geworden. Studentinnen tragen das Kopftuch bunt und sehr weit im Nacken. Und Lippenstift, Rouge oder getuschte, lange Wimpern sind eher die Regel denn die Ausnahme. Als der relativ liberale Mohammed Chatami Präsident war, sagt Zeinap, eine Geschäftsfrau, durften Frauen sogar Fußballspielen beiwohnen. Ahmadinedschad habe das wieder verboten. Ein Jammer! Zeinap ist auf dem Weg in den Urlaub. Ihr Ziel ist Kish, ein Schnorchelparadies im Golf mit getrennten Stränden – rechts die Männlein, links die Weiblein. Genüsslich zieht die Fünfzigjährige an ihrer Zigarette. Der Aschenbecher vor dem Eingang für Frauen auf Teherans Inlandflughafen Mehrabad ist so voll wie der vorm Männereingang.

Auch das Recht auf den eigenen Führerschein haben die Iranerinnen sich nicht nehmen lassen. Souverän meistern sie das Verkehrschaos. In Teheran, aber auch im konservativen Yazd, wo der Gluthauch zweier Wüsten bis weit in den Oktober für Temperaturen von über 30 Grad sorgt. Dennoch tragen die meisten Studentinnen beim Seminarausflug zu den Resten einer der alten Festungen den Tschadori, den schwarzen Ganzkörperschleier. »Ich weiß nicht, ob ich mich trauen würde, so herumzulaufen wie die Frauen im Westen. Ohne Kopftuch und mit nackten Armen.« Elham*, Anglistikstudentin, kennt die Zeiten, als in iranischen Großstädten die kürzesten Miniröcke zu sehen waren, nur aus den Erzählungen ihrer Mutter. »Damals«, meint sie, »konnte man alles tragen. Und alles sagen.« Eine Demokratie war Iran freilich nie. Der Savak, der Geheimdienst des Schahs, brachte Regimegegner mit ähnlicher Brutalität zur Strecke wie nach der Revolution sein Nachfolger Savama. Und das Evin-Zuchthaus war damals ähnlich voll wie heute. Elham sähe es dennoch gerne, wenn der Schahzadeh, der Sohn des Schahs, zurückkehren würde. »Er will aber nicht. Er will nur helfen, einen Systemwechsel herbeizuführen.« Ein bloßer Regierungswechsel reiche nicht. »Selbst, wenn die Opposition bei den Wahlen gesiegt hätte: Sie hätte wenig ändern können, weil die reale Macht nicht bei Präsident und Parlament, sondern bei den Großayatollahs liegt.«

»70 Prozent der Iraner wollen aber Veränderungen«, sagt Elham. Und das Regime, glaubt sie, habe längst nicht mehr alles im Griff und drücke bei relativ kleinen Sünden schon mal die Augen zu. Bei Videos beispielsweise, wie sie auch Ali* auf seinem Handy hat. In einem davon tanzt ein Mullah zu westlicher Musik, statt sie als unislamisch zu verdammen. »Die ganze Stube«, sagt der angehende Mediziner, der derzeit am Strand der heißen Golfregion Khusistan als Soldat Wache für das Vaterland schiebt, »lacht sich schief, wenn ich das abspiele.«

Mehrmals hätten sie in Apotheken sogar nach Alkohol gefragt und ihn meist bekommen – zum Präparieren von Gewebeproben im Labor. Kürzlich mit dem Hinweis, der Alkohol sei diesmal aber bitter. Den, sagt Ali, habe er natürlich nicht genommen, und der Apotheker habe Verständnis gehabt.

Sanktionen treffen immer die Falschen

»Viele haben eine Stinkwut auf die Regierung. Aber nur wenige wollen sich selbst für Veränderungen engagieren«, sagt Karen*. »Sie glauben offenbar, man könne Demokratie importieren. Man muss aber für sie kämpfen.« Karen kennt sich mit Im- und Export aus. Vor allem mit dem von Teppichen. Seine Familie hat in Isfahan seit Generationen einen Laden.

Isfahans Basar, zwei Moscheen und eine Prunk-Loge umgeben ein riesiges Wasserbecken mit Fontänen. Schah Abbas der Große ließ das Kleinod vor 400 Jahren bauen. Von Armeniern, die er vom Norden ins zentraliranische Hochland umsiedeln ließ. Darunter auch die Vorfahren des Teppichhändlers der momentan allerdings nicht weiß, wovon er die Ladenmiete bezahlen soll. »Aber vielleicht erbarmt Gott der Herr sich bis Montag. Dann werde ich nämlich 37.«

Der Herr erbarmt sich und bedient sich dazu des Erbfeindes der Armenier: Mit Kennerblick steuert eine türkische Geschäftsfrau auf Karens bestes Stück zu, einen Buchara-Teppich, handgeknüpft und aus Seide, die in der Sonne wie Gold glänzt. Madame lässt sich die Lupe reichen, zählt die Knoten, ist befriedigt. Beim Tee wird der Zahlungsmodus vereinbart: Kaution von 100 Euro in bar, der Rest geht auf ein Konto in einem EU-Staat. »Sanktionen treffen immer die Falschen, nicht die Regierung, sondern den Mittelstand, der am meisten auf Reformen drängt«, klagt Karen. In Dubai gebe es eine ganze Industrie habgieriger Vermittler, die an den Beschränkungen für Irans Banken verdient.

Dass Iran beim Streit um das Kernforschungsprogramm nicht einlenkt, hält er dennoch für richtig. »Wieso werden wir für etwas bestraft, was wir noch gar nicht getan haben? Nur weil man mit gewissen Technologien auch Bomben bauen könnte?« Über Israel, das die Bombe schon habe, rege sich dagegen niemand auf.

* Namen geändert.

Abendliches Rendezvous an der Weltkulturerbestätte von Isfahan
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