Braune Wurzeln
In Nordhessen tut die Polizei nun mehr gegen Neonazis. Doch die Prävention wird abgebaut
Seit nunmehr zwei Wochenenden zeigen Bereitschaftspolizei und reguläre Polizei im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis bei öffentlichen Veranstaltungen verstärkte Präsenz. Schwalmstadts Bürgermeister Wilhelm Kröll (SPD) hatte wegen der Welle rechter Gewalt bei dem zuständigen Hessischen Innenministerium eine nachhaltige Verstärkung der Polizeikräfte gefordert. Darüber hinaus macht die Polizei gezielte »Gefährderansprachen« bei Aktivisten der rechtsextremen »Freien Kräfte Schwalm-Eder«. Im Polizeibericht heißt es denn auch: »Die Bevölkerung erlebte ein ruhiges Wochenende.«
Derweil sahen sich die Lehrerkollegien von Schulen in Guxhagen und Melsungen veranlasst, gegen die landesweite Kürzung von Stellen für Schulsozialarbeiter zu protestieren. Allein im Schwalm-Eder-Kreis würden sieben Stellen wegfallen. »Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie das Hessische Kultusministerium die Streichung von solchen Stellen gerade bei uns politisch verantworten will«, sagte dazu Hans Gerstmann, Lehrer und Direktor i. R. in Schwalmstadt. Tatsächlich würden die Schulen durch die Streichungen ihrer Möglichkeiten beraubt, bei problematischen Jugendliche betreuend oder präventiv tätig zu sein.
Leitfigur Roeder
Gerade in Schwalmstadt, der größten Stadt des Schwalm-Eder-Kreises, war es zu den meisten Gewalttaten gekommen. Bei Wohnungsdurchsuchungen stellten die Staatsanwaltschaft Marburg und die Polizei in Schwalmstadt in der vergangenen Woche Baseballschläger, Propagandamaterialien und eine Hakenkreuzfahne sicher.
Die polizeiliche Durchsuchung richtete sich gegen Gewalttäter, die den »Freien Kräften Schwalm-Eder« angehören. Täter aus diesem Kreis hatten am 27. September bei einem Überfall vor einer Musikgaststätte den Wirt und zwei Gäste verletzt.
Blickt man in die Geschichte der Region, so tut sich manche Parallele auf: Bis zum Ersten Weltkrieg vertrat ein antisemitischer Abgeordneter den Landstrich im Deutschen Reichstag, die Nationalsozialisten konnten dort früh hohe Zustimmungsraten bei den Wahlen erreichen. 1938 wurden bei Pogromen Synagogen zerstört. In jenen Jahren wurden hunderte jüdische Nachbarn aus dem Landkreis in Konzentrationslager verschleppt und ermordet.
Trotz aller Aufklärungsbemühungen und demokratischen Anstrengungen der letzten Jahre treibt in dem Städtchen Schwarzenborn weiterhin der frühere Rechtsanwalt Manfred Roeder sein Unwesen. 1982 war er nach einem Anschlag auf ein Ausländerwohnheim mit zwei Todesopfern zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt worden.
Inzwischen ist Roeder 80 Jahre alt, bleibt unbelehrbar und betätigt sich weiter als Holocaustleugner. Am 13. November verurteilte das Marburger Landgericht diese Leitfigur der Rechtsradikalen im Berufungsverfahren zwar wegen Volksverhetzung und Holocaustleugnung – jedoch lediglich zu einer Bewährungsstrafe. Richter Wolf Winter nannte das skandalöse Urteil einen »Akt der Menschlichkeit, des Verzeihens und der vorweggenommenen Gnade«.
In der Lokalpresse merkt dazu ein Leserbriefschreiber an: »Wenn solche Großväter der braunen Gesinnung mit keinen harten und konsequenten Bestrafung rechnen müssen, wie wird das wohl in der gewaltbereiten Neonaziszene aufgenommen?«
Runder Tisch Schwalmstadt
Am 23. November tagte auf Einladung des Schwalmstädter Bürgermeisters Willhelm Kröll der Runde Tisch in Schwalmstadt. Er setzt sich zum Ziel, Vertreter des gesellschaftlichen Lebens in den Kampf gegen rechte Gewalt einbeziehen. Darüber hinaus hat sich die Initiative »Buntes Rotkäppchenland« gegründet. Sie will den Kampf gegen die rechten Umtriebe nachhaltig unterstützen.
www.buntes-rotkaeppchenland.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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