Das Schillern

Uli Hoeneß – ein Manager tritt ab

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 6 Min.

Martin Walser schrieb einen ganzen Essay zur Frage, wann ein Manager ins Feuilleton gehöre. Kurzfassung: dann, wenn er schillert. Nur dann. Dann aber unbedingt. Schillern ist mehr als glänzen.

Uli Hoeneß schillert sehr. Wenn es ins Charakterliche ginge, so Walser, ende die Kompetenz von Sport- oder Wirtschaftsberichterstattung, denn dies (schillernd!) Menschenpralle und Charismatische sei nicht allein mehr durch Rationalismus, Resultatsjägerei und Kritik-Ehrgeiz zu fassen; der Nüchterne denke nunmal anders als der Begehrende – aber Begehren und Verehrungswille und Hingegebensein seien Grundlage für den Genuss an Spielen aller Art. Begehren nach dem Drama und Verehrungswille für dessen Betreiber. Uli Hoeneß ist einfach reizvoller als die gesamte Gilde der Bayernkritiker, all dieser Obmännlein einer mühsam aufrecht erhaltenen (Links-)Pflicht zur Kritik am Stammhaus des deutschen Profitfußballs.

Hoeneß geht, nach drei Jahrzehnten, als Manager des FC Bayern München. Er wird der neue Präsident des Klubs, steigt also auf, aber seine wahre Erfolgsgeschichte hat damit kaum zu tun. Ein Letzter seiner Art nimmt Abschied. Ein Pate. Ein Tycoon. Ein Falstaff. Ein Temperamentsverschwender ganz aus der Kraft eines leib- und lederhosenfesten Dagobert Duck-Talents.

Bayern München war jahrelang gelingender Kapitalismus, so wie jeder gute Hollywood-Film gelingender Kapitalismus ist, und gelingender Kapitalismus hat also hohen Unterhaltungswert – noch die Krisen des Vereins, der in dreißig Hoeneß-Jahren sechzehn Mal Meister wurde, bieten mehr Stoff als anderer Mannschaften lauwarme Arbeitssiege. Bayern ist das Wespennest, das sich quasi immer wieder selber sticht – aufregender ist das allemal als die Homogenität der fleißigen Bienen zwischen Bremen, Bielefeld und sonstwo.

Welch ein Talent, die Welt in zwei Teile zu hauen. Liebe und Hass, Pro und Kontra – der FC Bayern ist der letzte Auslöser ideologischer Kämpfe. Das muss man erst mal schaffen am Ende der Geschichte. Sehr oft absolviert München sein Punktspiel erst am Sonntag. Jener Entspannungszeitpunkt, den sich Gott nach dem wochedauernden Schöpfungsakt gönnte, er gilt seit diesem Zeitplan nicht mehr – denn bei jedem Bayern-Spiel steht die Welt neu auf dem Spiel, der Sonntag ist somit kein Ruhe-, sondern regelmäßig ein Schicksalstag. In München haben selbst Scheiternde wie Rehhagel ein Schicksalsgesicht bekommen. Der derzeitige Trainer Van Gaal sieht zumindest schon aus wie ein Ahnungsvoller. Bayern ist die Öffnung des Münchner Residenztheaters ins große deutsche Theater.

Der Punkt, von dem aus es mit dem FC Bayern München leider abwärts ging, ist genau benennbar: als Uli Hoeneß sich nicht mehr auf die Mannschaftsbank unmittelbar am Spielfeldrand setzte. Von da an war sie aufgehoben, die Union von Plebejer und Papst, von Malocher und Majestät. Man muss es eine verhängnisvolle Entfernung von der Truppe nennen. Nun verschwand die Zornesmasse, der Fieberexzess, die festgeschnallte Ruhe (Ausdruck eines mühsam beherrschten Gefühlsstaus), jene Eminenzhaftigkeit, die nichts Graues hatte, sondern regelmäßig die Glutfärbung des Bluthochdrucks. Die Elf kämpfte nun nicht mehr im Schweiße ihres Angesichts, das Uli Hoeneß gehörte.

Er passt nicht auf Tribünen, seine Präsenz hat dort etwas Angeschraubtes. Er verströmt als Bayer das effizient Freistaatliche, das stockbäurisch Hochgemute und knochenhart Ortsfeste. Hoeneß hat vor Jahren als Einziger von vier Insassen einen Flugzeugabsturz überlebt. Da er beim Unglück schlief, erlitt er es nicht bewusst und konnte fortan mit ungetrübtem Gemüt weiter fliegen. Auch bei einem schweren Autounfall entkam er dem Tod nur knapp. Er ist seit diesen Erfahrungen ein Wurstfabrikant mit metaphysischen Tuchfühlungen. Sebastian Deisler nennt ihn einen »gütigen Kerl«, Mehmet Scholl bezeichnet ihn als »Freund«. Hoeneß hat der sozial abgestürzten Stürmer-Legende Gerd Müller und anderen zurück in den existenziellen Halt geholfen, er hat den guten, kostbaren Bayern-Ruf in Spendengeld für den wegdriftenden FC St. Pauli verwandelt – er ist tolerant, freilich herrscht seine Toleranz, sie lässt nicht bloß zu.

Ein sozialer Marktwirtschaftler ist er vor allem aus dem Geist der eigenen Tragödie: Denn da ist einer in seiner Kindheit und Jugend wie besessen dem Ball hinterhergerannt, immer ein müder Schüler, weil er vor dem Unterricht Kraft und Ausdauer trainierte – und dann gibt ihm die rücksichtslose Fügung lediglich eine Frist von fünf Jahren einer schmerzfreien Profilaufbahn; der Rest von vier Spiel-Zeiten, von 1975 bis 1979, nur Flickwerk am Kniegelenk. Jeden (!) Donnerstag muss er punktiert werden, um am Wochenende spielen zu können. Bis ihm der Masseur riet aufzupassen: Man wolle ihn, quasi über sein Knie hinweg, verkaufen. »Als ich das hörte, habe ich mir geschworen: Wo ich arbeite, darf ein Mensch so nie behandelt werden. Härte im Geschäft ja, aber nicht Herzlosigkeit«. Hoeneß im ND-Interview.

Ein planvoller Provokateur ist er, kein Poltergeist aus dem Abgrund der Launen. Er hat mit offener, wohlüberlegter verbaler Attacke – die ihm ganz Deutschland zunächst übelnahm, bis Daum, zu selbstsicher, eine Haarprobe einreichte – einen koksenden Bundestrainer verhindert. Noch Fehleinkäufe hielten ihn menschlich, und wenn er jetzt nicht mehr managt, ist das der Abgesang einer Handwerkskunst jenseits einer Welt moderner Displayboys.

Und also ist die derzeitige Krise von Bayern auch eine Hoeneß-Krise. Ende des Fordismus an der Säbener Straße. Traurig, aber logisch. Bei Hoeneß war die Ausbeutung der Körper ein ehrliches Geschäft, das man gern mit Liebe, Leidenschaft, Tugend verwechseln durfte. Man sieht ihn wohl völlig falsch, wenn man in ihm nicht den Utopisten des Spiels sieht, sondern nur den kühl operierenden Ab-Rechner. Nur ist er eben davon überzeugt, dass auch das Sportschöne und alles Hintergrundwirkliche der Ballkunst, wie alles im Leben der Kaufleute, mit handfest hohen Preisen zu bewegen ist.

Als Trainer Jürgen Klinsmann im Fernsehen seine Meditations-Techniken mit Supervision und Buddha-Statuen präsentierte, staunte Hoeneß im Fernsehen ehrlich offenen Mundes. Dann schloss er den Mund, um einen einzigen Satz zu sagen. »Ich finde das ganz, ganz toll.« Pause, lange Pause. Nachsatz: »Leider schießt das alles keine Tore.« Der ganze Hoeneß.

Javier Marias, der spanische Schriftsteller, bezeichnete den Manager Hoeneß als »den letzten Kaufmann mit Seele, dem man niemals übelnehmen würde, wenn er statt von Menschen von Einkäufen redete«. Hoeneß redet nicht so, wie es überhaupt zu seinem Wesen zu gehören scheint, über das Gute, das er tut, nicht zu reden. Und das Gute in einem Geschäft ist immer der Gewinn, der es ermöglicht, ein Gebender zu sein. Das reiche Leben, so erzählt die Causa Hoeneß, verrät sich an seinem Überfließen. Dieses Leben hat etwas übrig, ohne leichtsinnig zu werden, es ermöglicht Spiele. Fußballspiele. Mehr nicht. Mehr nicht? Ich finde, das ist viel – von einem Fußballer verlangt, von einem Fußballer geschafft.

Er wird nun Präsident. Ja, er steigt auf. Er steigert seine Präsenz – und doch wird er fehlen.

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