Europa sieht die Zukunft in der Forschung

EU will neuen Innovationsplan / Ziele der Lissabon-Strategie verfehlt

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.
Die EU-Kommission will mit einer Innovationsstrategie europäische Unternehmen unterstützen, damit sie langfristig wettbewerbsfähig bleiben. Erste Ideen werden derzeit formuliert. Die deutsche Wirtschaft freut das. Aber es gibt auch Angst vor zu viel neuen Vorschriften.

Ziel verfehlt: Wenn im kommenden Jahr die sogenannte Lissabon-Strategie der EU ausläuft, wird sie nicht nur bei Punkten wie Wirtschaftsentwicklung oder »Vollbeschäftigung« keine Erfolgsbilanz vermelden können, sondern auch bei industrieller Forschung und Entwicklung (FuE). Drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), so hatten Europas Strategen geplant, sollten in jedem EU-Mitgliedstaat dafür ausgegeben werden. Im Durchschnitt. Dieser liegt aber heute lediglich bei 1,8 Prozent. Innerhalb eines Jahres wird sich der Wert kaum ändern, die drei Prozent sind nicht zu erreichen. Was tun?

Von dem Vorhaben, Forschung und Entwicklung stark zu fördern, will die EU nicht lassen. Viele Entwicklungen in der Weltwirtschaft weisen darauf hin, dass gerade hier künftig der große Trumpf der Europäer liegen könnte. Das hat auch die EU erkannt. Ihre ersten Pläne, diese Erkenntnis in praktische Maßnahmen umzusetzen, sind als Absichten bereits formuliert. Anfang September veröffentlichte die EU-Kommission eine sogenannte Mitteilung über die Herausforderungen und den Verbesserungsbedarf der Innovationsleistung Europas. Von Rahmenbedingungen und Synergien ist da die Rede. Aber auch Konkreteres wie die Schaffung eines europäischen Patents, Aussicht auf mehr Geld und besserer Zugang zu diesem werden genannt. Jetzt ist die EU-Kommission dabei, von allen möglichen Seiten Stellungnahmen zu diesem Papier zu sammeln. Im März 2010 soll es zur Ausrufung eines Europäischen Innovationsplans führen, der als Zielvorgabe in die neue, bis 2020 angelegte Lissabon-Strategie aufgenommen werden soll.

»Mehr Geld für Forschung und Entwicklung kann vor allem durch Umverteilung und gezielte Schwer-punktsetzung innerhalb der bestehenden EU-Fonds zur Verfügung gestellt werden«, erklärt Sara Borella, beim Brüsseler Büro des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) Expertin für Forschungs- und Entwicklungspolitik. Sie könne sich vorstellen, dass bei der Neuverteilung der Haushaltsmittel 2013 Gelder aus dem Landwirtschafts- und Strukturetat in den Bereich FuE wandern könnten. Das seien allerdings noch reine Spekulationen. Wie so vieles, was die neuen Pläne angeht. Zum Beispiel, wo dieser Bereich in der neuen EU-Kommission angesiedelt wird. »Für die innovativen Unternehmen wäre es das beste, wenn es in der neuen EU-Kommission einen Kommissar gäbe, der sich prioritär um die Bereiche Forschung und Innovation kümmert«, glaubt Borella. Dadurch bestünde die beste Chance, Theorie und Praxis zusammenzuführen. Heute sei es häufig so, dass an vielen Dingen geforscht werde, ohne dass die Ergebnisse in praktisch anwendbare Wirtschafts- oder Industrieprozesse einfließen. Innovation und industrielle Entwicklung blieben dadurch oft ungenutzt.

Grundsätzlich begrüßt der DIHK als Vertreter des Mittelstands die EU-Pläne, Forschung und Entwicklung künftig noch mehr Gewicht zu verleihen. Borella äußert aber auch Befürchtungen. »Wir in Deutschland haben schon ein gutes System, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, wie FuE auch finanziell gefördert werden kann.« Es dürfe nicht dazu kommen, dass die EU Regeln erlässt, die in allen Mitgliedstaaten exakt gleich gelten müssen, so dass das funktionierende System in Deutschland verschlechtert werde. Ziel müsse es sein, Rahmenbedingungen zu schaffen und die detaillierte Gestaltung möglichst den Mitgliedstaaten zu überlassen.

Als eine solche Rahmenbedingung sieht man beim DIHK den vereinfachten Zugang zu EU-Förderungen an. Wenn die EU mehr Forschung und Entwicklung wolle, müsse sie auch Möglichkeiten bieten, dass die bereitgestellten Mittel komplikationslos bei entwicklungsfreudigen Unternehmen ankommen. Mehr Information, vereinfachte Anträge, unbürokratische Abläufe. Darin sieht der DIHK einen Schlüssel, um Forschung und Entwicklung künftig die Rolle spielen zu lassen, die sich die EU erhofft.


Das Stichwort - Forschung in der EU

Die EU-Industrie hatte 2008 einen größeren Zuwachs an Neuinvestitionen in Forschung und Entwicklung (FuE) zu verzeichnen als die Hauptkonkurrenten USA und Japan. Stiegen die Investitionen in der EU um 8,1 Prozent im Vergleich zu 2007, so nahmen sie in den USA nur um 5,7 Prozent und in Japan um 4,4 Prozent zu. So die Ergebnisse des jährlichen EU-Anzeigers für Forschung und Entwicklung, der jetzt in Brüssel vorgelegt wurde. Mit 37,7 Prozent der weltweit für FuE ausgegebenen Gelder belegen die USA allerdings weiterhin Platz eins als investitionsfreudigster Wirtschaftsraum. Die EU folgt auf Platz zwei mit 28,9 Prozent, Japan auf Platz drei mit 22,2 Prozent. Auf den Rest der Welt entfallen die übrigen 11,2 Prozent.

(kw)

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