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Agrarlobby kriminalisiert die Landlosen

Parlamentarischer Untersuchungsausschuss anberaumt, Landreform in Brasilien steht weiter aus

  • Lesedauer: 3 Min.
Von Andreas Behn, Rio de Janeiro

In Brasilien wurde ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss

zur Landlosenbewegung MST einberufen. Die MST ist über diese Kriminalisierung empört.

Die brasilianische Agrarlobby bleibt rührig, wenn es darum geht, die Landlosenbewegung MST anzuschwärzen. Im Oktober wurde auf Betreiben des sogenannten Agrarierflügels im Parlament bereits der dritte Untersuchungsausschuss innerhalb von vier Jahren gegen die Landlosenbewegung anstrengt. Stets geht es darum, den Aktivitäten der Bauern und Bäuerinnen Steine in den Weg zu legen und ihren Kampf für eine Agrarreform zu diskreditieren. Dabei ist Brasilien eines der Länder mit der höchsten Konzentration des Landbesitzes und ungerechtesten Bodenverteilung weltweit. Die oberen zehn Prozent besitzen 85 Prozent des Grund und Bodens.

Aufgrund von Parteistreitigkeiten ist der Parlamentarische Untersuchungsausschuss bis heute noch nicht zusammengetreten. Die Mehrheitsentscheidung für dessen Einsetzung stieß und stößt auf großen Protest seitens sozialer Bewegungen und auch Teilen der Regierungsparteien. »Wir leiden unter einer politischen Verfolgung, die sich gegen die Agrarreform, den Kampf der Menschen für ihre Rechte und gegen die Demokratie in Brasilien richtet.« Mit diesen Worten rechtfertigte João Paulo Rodrigues, Führungsmitglied des MST, eine Klage, die Anfang November bei der Internationalen Arbeitsorganisation in Genf eingereicht wurde. Wenig später wandten sich die Landlosen, die die größte soziale Bewegung Brasiliens sind, an die Interamerikanische Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten, um Beschwerde wegen Unterdrückung und Kriminalisierung durch den brasilianischen Staat einzulegen.

Dieses Mal hatte die Kriminalisierungskampagne mit dem Vorwurf begonnen, der MST nahe stehende Nichtregierungsorganisationen würden öffentliche Gelder veruntreuen. Eine Reportage, die Anfang September in der Zeitschrift »Veja« erschienen war, sprach auch von Steuerhinterziehung bei ausländischen Spenden. Sogar die Agrarreformbehörde INCRA soll an Unregelmäßigkeiten beteiligt gewesen sein. Rolf Hackbart, Präsident des INCRA, wies diese Vorwürfe weit von sich. Am 17. November erklärte er vor der Presse, dass alle Abrechnungen bezüglich der Verwendung von Bundesgeldern korrekt und veröffentlicht seien. »Ich sehe keinerlei Notwendigkeit für diesen Untersuchungsausschuss«, so Hackbart.

Ende September startete der Agrarierflügel eine weitere mediale Offensive: Überall waren Bilder von MST-Aktivisten zu sehen, die eine Orangenplantage besetzen und Zitrusbäume fällen. Die Empörung war groß und wurde weiter geschürt, während der Hintergrund der Aktion konsequent verschwiegen wurde. Der Orangensaftproduzent Culturale hatte das betreffende Land illegal erworben und ist bekannt dafür, mit undurchsichtigen Methoden Land in Brasilien zu erwerben. Jetzt kamen genug Stimmen zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses zustande.

Das Tauziehen um die Landlosenbewegung hat einen ganz konkreten Hintergrund. Im August hatte Präsident Lula angekündigt, den Produktivitätsindex zu aktualisieren. Dieser Index gibt Auskunft darüber, inwiefern ein Agrarbetrieb sein Land produktiv bewirtschaftet. Wird er angesichts großer Ländereien und geringer Produktivität pro Hektar als unproduktiv eingestuft, können Teile des Landbesitzes enteignet und im Rahmen der Agrarreform an Landlose vermittelt werden.

Laut Verfassung muss dieser Produktivitätsindex alle fünf Jahre angepasst werden. Doch in der Praxis geschah dies zuletzt 1980. Dabei ist die durchschnittliche Produktivität in den vergangenen 30 Jahren um jährlich drei bis sechs Prozent angestiegen. Bei einer Anpassung des Index würden laut Schätzungen der Landpastorale CPT 400 000 beziehungsweise zehn Prozent der Besitztümer als unproduktiv eingestuft werden. Hinzu käme eine höhere Steuerlast, denn auch diese richtet sich nach der Produktivität in der jeweiligen Region. Die Agrarlobby versucht mit allen Mitteln, dies zu verhindern. Und auch die Kriminalisierung derjenigen, die vom Einhalten der Rechtsgrundsätze profitieren würden, ist ein wirksames Mittel, von diesem Missstand abzulenken.

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