Staatsregierung gewatscht
Bayerisches Volksbegehren für strengen Nichtraucherschutz erfolgreich
München. Am letzten Tag des bayerischen Volksbegehrens »für echten Nichtraucherschutz« standen die Unterstützer in vielen Orten in Bayern trotz Kälte Schlange. In München etwa reihten sie sich am Mittwoch bis Abends vom Rathauseingang bis weit nach draußen auf den Marienplatz, um für die Einführung eines in Deutschland beispiellos radikalen Nichtraucherschutzgesetzes zu unterschreiben. Weit über eine Million Menschen gingen in den letzten zwei Wochen in die Rathäuser – und schafften einen unerwarteten Triumph. Bereits dieser Erfolg gilt als heftige Watschn für die CSU und vor allem für Horst Seehofer.
Die Drehung der CSU
Angestoßen hatte das Volksbegehren die ÖDP. Die SPD, Grüne und eine Reihe von Ärzte- und Sportverbänden schlossen sich an. Ihre Forderungen für Nichtraucherschutz sind so weitgehend, wie es in keinem Bundesland seit den Diskussionen über verschärften Nichtraucherschutz je ernsthaft im Gespräch war: Die Initiatoren wollen jeglichen Zigarettenqualm in öffentlichen Gebäuden und in der Gastronomie verbieten. In Einrichtungen für Kinder und Jugendliche soll nicht mal mehr draußen geraucht werden dürfen. Auch das Münchner Oktoberfest soll zwingend rauchfrei werden. Ob das Gesetz aber wirklich wie vorgeschlagen durchkommt, ist noch nicht absehbar. Nach den bayerischen Regelungen kann nun entweder der Landtag den Gesetzentwurf annehmen. Oder es gibt im ersten Halbjahr 2010 einen Volksentscheid, bei dem dann die einfache Mehrheit entscheidet. Die schwarz-gelbe Landesregierung signalisierte bereits, einen Volksentscheid zu bevorzugen: Darin sollen die Wahlberechtigten zwischen den geltenden Regelungen mit ähnlichen Rauchverboten wie in den meisten Bundesländern und dem radikalen Rauchverbot des Volksbegehrens abstimmen.
Pikant für die CSU ist, dass der von der ÖDP formulierte Entwurf nahezu identisch ist mit dem noch von der CSU-Alleinregierung unter Ministerpräsident Günther Beckstein beschlossenen Nichtraucherschutzgesetz. Jedoch mit einer entscheidenden Ausnahme: Becksteins Regierung hatte Raucherclubs erlaubt. Dieses Schlupfloch nutzten sehr viele Wirte, in unzähligen Gaststätten wurde weiter ohne Einschränkung gequalmt. Das führte im Jahr der Landtagswahl 2008 zu zwei unzufriedenen Lagern: Die Raucher fühlten sich von der CSU verraten, die Nichtraucher veräppelt. Seehofer war es, der kurz nach der CSU-Pleite bei der Landtagswahl 2008 – sie verlor ihre absolute Mehrheit – im Nichtraucherschutz der Alleinregierung einen der wichtigsten Gründe für das Debakel ausgemacht hatte.
Seehofer in der Klemme
Das Gesetz habe die »bayerische Volksseele verletzt«, wetterte Seehofer wenige Tage nach der Wahl. Er stellte sich dabei klar auf die Seite der Wirte, die die Beschränkungen für Raucher kritisierten. Und er kassierte das CSU-Gesetz mit seiner neuen schwarz-gelben Regierung direkt wieder ein.
In den kommenden Wochen ist Seehofer nun in der Zwickmühle: Sein Wort von der verletzten Volksseele steht. Zugleich kommt der Ministerpräsident und CSU-Chef aber nicht an dem Faktum vorbei, dass erstmals seit zwölf Jahren in Bayern wieder ein Volksbegehren erfolgreich war.
Eigentlich hatte sich Seehofer in Bayern auf ein paar relativ ruhige Jahre ohne Wahlkampf eingestellt, da die nächsten Wahlen dort erst 2013 stattfinden. Nun steht er zwischen zwei Lagern, die er zu beruhigen versuchen muss: auf der einen Seite die Nichtraucher, die ein beeindruckendes Quorum vorgelegt haben; auf der anderen Seite Interessensverbände wie die bayerischen Wirte, die um ihre Umsätze fürchten.
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