- Politik
- Boliviens erste Präsidentschafts- und Kongresswahlen unter der neuen Verfassung
Fast alles spricht für Evo Morales
Boliviens Präsident und seine Bewegung zum Sozialismus steuern auf klare Mehrheiten zu
Während die Bestätigung von Evo Morales bei den Wahlen in Bolivien als sicher gilt, bleibt der Ausgang der Wahlen zu der aus zwei Kammern bestehenden Volksvertretung offen. Im Parlament ist der Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) und ihren Alliierten eine klare Mehrheit sicher. Heiß umkämpft aber ist der Senat. Bisher nutzte die alte politische Elite ihre dortige Stimmenüberzahl, um linke Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft zu blockieren. Ihr wichtigstes Ziel sehen die Sozialisten nun in der Industrialisierung des armen Andenlandes.
Wie groß die Unterstützung der amtierenden Präsidentschaft ist, zeigte sich in El Alto. Zehntausende Morales-Anhänger waren am Donnerstag in die Armenstadt vor den Toren der Metropole La Paz gekommen, die staatliche Nachrichtenagentur ABI zählte gar eine Million Demonstranten. Riesige Transparente in den blau-weiß-schwarzen Farben der MAS tragend und die Nationalflagge sowie die seit der Verabschiedung der neuen Magna Charta ihr gleichgestellte indigene Whipala-Fahne schwenkend, bekundeten die Menschen breite Unterstützung für den Staatschef.
Die »Politik des Wandels« habe »dank des Kampfes unserer sozialen Bewegungen begonnen«, hob Evo Morales das populäre Selbstverständnis der Linksregierung hervor. In seiner letzten Rede vor dem sonntäglichen Urnengang zählte er Wahlversprechen auf. »Ich möchte dem bolivianischen Volk weitere fünf Jahre dienen, um das Land zu industrialisieren«, so der MAS-Kandidat. Er kündigte die Verwertung der weltweit größten Lithiumvorkommen und der zweitgrößten Gasreserven Südamerikas an. Priorität habe der Ausbau des schlechten Straßensystems in dem Staat von der siebenfachen Größe Deutschlands. »Was wir wollen, ist, Bolivien zu einer regionalen Macht auf dem Kontinent zu machen«, so Morales, dem letzte Umfragen einen Wahlsieg zwischen 55 und 60 Prozent voraussagen. Sein selbst erklärtes Ziel sind 70 Prozent. Nötig wäre dafür mehr als die Unterstützung der breiten Massen von Land und aus den Armenvierteln, die besonders von den zahlreichen Sozialprogrammen profitiert haben. Die Stimmen der städtischen Mittelschicht seien auch »willkommen«, so Morales.
In der Tat ist ein Stimmungswechsel im Land spürbar. So punktete die MAS-Regierung seit ihrem Wahlsieg 2005 wiederholt auf internationalem Parkett, wie bei der Abwendung eines FIFA-Spielverbotes für Fußball-Länderspiele in den auf über 3000 Höhenmetern gelegenen Andenstadien oder in einer Kampagne zum traditionellen Kokablätter-Konsums. »Einige Genossen sagen: Egal ob er Indio, Indigener ist oder nicht, er verschafft uns Respekt und gibt uns Würde«, warb der Aymara um Voten auch aus dem bürgerlichen Lager.
Unabhängig davon, wie hoch die Wiederwahl von Morales ausfallen wird – entscheidend für die weitere Reformpolitik à la MAS wird die Zusammensetzung von Parlament und Senat sein. In der »Plurinationalen Versammlung« sind 130 Parlamentssitze und 36 Senatorenstühle zu vergeben. Die Abgeordnetenkammer wird wohl mit Zweidrittelmehrheit an die Sozialisten gehen. Knapp wird es im Senat, der Gesetze ähnlich des deutschen Bundesrates genehmigt. Zu den dort von den Rechten gestoppten MAS-Projekten gehört beispielsweise ein Antikorruptionsgesetz, das die Verfolgung der grassierenden Bestechlichkeit und Vetternwirtschaft zum Ziel hatte. Auch auf die 2008 ausgearbeitete Verfassung zur »Neugründung Boliviens« wurde starker Einfluss genommen. Erst nach zahlreichen Modifizierungen (Sicherung der Eigentumsrechte an Land, Schutz von Privateigentum, Abwehr von mehr Basisdemokratie) gab der Senat grünes Licht für ein nötiges Volksabstimmungsgesetz zur endgültigen Annahme der neuen Magna Charta. Die MAS hofft auf große Mehrheiten, künftige Verfassungsänderungen wären dann reine Formsache.
Verliert die Opposition die Senatsmehrheit, würde ihr Widerstand weiter aus den Regionen kommen, die im Rahmen der Dezentralisierung Boliviens mehr Macht erlangt haben. In den Anden-Departamentos von La Paz, Oruro, Potosí, Cochabamba und Chuquisaca wird am Sonntag auch über mehr autonome Selbstverwaltung abgestimmt. Auf kommunaler Ebene steht die Einrichtung von zwölf Selbstverwaltungsgebieten (Quechua, Aymara, Guaraní) zur Entscheidung, die nach traditionellen Vorstellungen regiert werden sollen. Die Oppositionsbastionen in den Tiefland-Departamentos Santa Cruz, Beni, Pando und Tarija hatten sich schon 2006 für Autonomien entschieden. Hier sehen viele Altpolitiker Chancen – im April 2010 stehen Präfektur- und Kommunalwahlen an.
Stabile Wirtschaft
Während der globalen Finanzkrise hat sich die Wirtschaftspolitik der seit Anfang 2006 in La Paz amtierenden Regierung von Evo Morales bewährt. Der Staatshaushalt weist seit 2006 erstmals nach 1970 ein Plus auf – ein Ergebnis höherer Einnahmen infolge der Verstaatlichung der Öl- und Gasindustrie, die den Energie-Multis höhere Abgaben abverlangt. Die Einnahmen wurden für Sozialprogramme (Muttergeld, Schulbonus, Renten, Gesundheit) eingesetzt. Für die Regierungszeit 2010 – 2015 kündigte Boliviens Wirtschafts- und Finanzminister Luis Arce die Vertiefung des »neuen ökonomischen Modells« an. Prioritäten liegen auf Industrialisierung (Lithium), Ausbau des unterentwickelten Wegesystems und vorbeuggenden Maßnahmen zur »Abwehr von Finanz-, Energie-, Lebensmittel- und Klimakrisen«.
Ungewohntes Lob kam vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Akkumulation von Ersparnissen und Geldreserven habe antizyklische Maßnahmen möglich gemacht, was der zweitschwächsten Volkswirtschaft Südamerikas eine Wachstumsrate von vier Prozent bescherte – Spitze in ganz Lateinamerika. Insgesamt bleibt die exportorientierte Wirtschaft (Gas und Bodenschätze) jedoch weiter von den Schwankungen des Weltmarkts abhängig. So traf der starke Verfall der Energie- und Rohstoffpreise im vierten Quartal 2008 das Land stark. Inzwischen sind die Preise zum Glück für Bolivien wieder gestiegen. B.B.
Die Opposition - Polit-Dinosaurier ohne Profil
Mit unglaubwürdigem Personal und fehlenden Programmen hat sich Boliviens Opposition ins Abseits manövriert. Beleg ist die Kandidatur des Duos Manfred-Leopoldo für Präsidenten- und Vizepräsidentenamt. Der in der US-Militärschule Las Americas ausgebildete ehemalige Präfekt des Departamento Cochabamba, Manfred Reyes Villa, wurde beim Amtsenthebungsreferendum im August 2008 abgewählt. Er kandidiert zusammen mit dem in Untersuchungshaft sitzenden ehemaligen Präfekten von Pando, Leopoldo Fernández Ferreira.
Reyes unterdrückte Proteste des sogenannten Wasserkriegs, als sich Cochabambas Bewohner im Frühjahr 2000 gegen hohe Wasserpreise zu Wehr setzten, gewaltsam. Gegen Fernández ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Mordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er soll direkt am »Massaker von Pando« beteiligt gewesen sein. Vor einem Jahr waren 18 MAS-Anhänger von Präfektur-Angestellten ermordet worden. Aus dem Gefängnis verkündete Großgrundbesitzer Fernández seine Ziele. Er kämpfe »für die Wiederherstellung der Demokratie«. Bolivien sei unterdrückt von »Hochstaplern, die von Demokratie reden, aber diktatorisch handeln. Schaut nach Venezuela, dann wisst ihr, worin sich Bolivien verwandeln wird«.
Zweiter Morales-Konkurrent ist der Zementmillionär Samuel Doria Medina. Er war einst als Planungsminister am neoliberalen Ausverkauf beteiligt. Mit dem Tiefland-Karrieristen, Unternehmerliebling und Senatspräsidenten Oscar Ortíz als Vizekandidaten stellt er allein für die besser gestellte Mittel- und Oberschicht eine Wahlalternative dar – im Bolivien von heute zu wenig, um in das Regierungsgebäude, den Palacio Quemado, von La Paz einzuziehen. (B.B.)
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.