Terror gehört zum Alltag Pakistans

Vier Anschläge in 24 Stunden: Nirgends im Land am Indus ist es noch sicher

  • Hilmar König, Delhi
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Beginn der Herbstoffensive der pakistanischen Armee gegen die Taliban und die mit ihnen verbündeten Stammesmilizen kamen bei Gegenschlägen der Extremisten bislang nahezu 450 Menschen ums Leben, überwiegend Zivilisten. Bei der jüngsten Attacke am Dienstag wurden in Multan mindestens 12 Menschen getötet und 50 verletzt.

Es war Ironie des Schicksals: Staatspräsident Asif Ali Zardari besuchte am Montag im CMH-Militärhospital Überlebende des Anschlags auf die Moschee in der Parade Lane von Rawalpindi am 4. Dezember. Dort hatten die Angreifer über 30 Gläubige beim Freitagsgebet umgebracht. Zardari äußerte während seines Besuchs: »Terrorismus ist eine große Bedrohung der Sicherheit Pakistans. Aber die Streitkräfte sind voll darauf vorbereitet, damit fertig zu werden.«

Wie zum Beweis des Gegenteils explodierten am Montagnachmittag auf dem Moon-Marktzentrum von Lahore in nur 30 Meter Entfernung voneinander und im Minutenabstand zwei Sprengsätze. Tags darauf gaben die Behörden die Zahl der Opfer mit mindestens 49 an. Rund 180 Marktbesucher wurden verletzt. Zuvor hatte ein Selbstmordattentäter in Peshawar vor einem Gericht sieben Personen mit in den Tod gerissen und fast 50 verletzt.

Schon am Dienstag legten die Extremisten nach, attackierten in Multan Gebäude der Streitkräfte und der Sicherheitsdienste mit Granaten und Maschinengewehrfeuer, ehe sie eine Autobombe zündeten.

Multan und Lahore liegen in der östlichen Provinz Punjab, weitab vom unruhigen Nordwesten, wo Führer von Taliban und Al Qaida in ihren Schlupfwinkeln vermutet werden. Punjab ist der am weitesten entwickelte Teil Pakistans, seine Hauptstadt Lahore gilt als Kulturzentrum des Landes. Dass auch hier seit Monaten nahezu regelmäßig Terroristen zuschlagen, ist ein klares Signal: Nirgends im Land am Indus gibt es noch Sicherheit.

Aus vielen Fäden ist ein flächendeckendes Netzwerk brutaler Gewalt entstanden, an dem über Jahre auch die Geheimdienste mitspannen – in der irrigen Annahme, eine Stoßtruppe gegen den Erzfeind Indien zu schaffen. Inzwischen wurde dieses Netzwerk zur ernsten Bedrohung für Pakistan selbst. Deshalb sahen sich die Generäle im Oktober gezwungen, die Offensive gegen die Hochburgen der Taliban und der Stammesmilizen im Nordwesten zu eröffnen. Dass der strategische Partner USA zudem enormen Druck in die gleiche Richtung ausübte, vervollständigt das Bild nur.

Mögen die Soldaten bei den Gefechten im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet auch zeitweilige Erfolge verbuchen, so kann der Sicherheitsapparat doch nicht verhindern, dass die Extremisten im Hinterland einen Terroranschlag nach dem anderen ausführen. Damit werden die Streitkräfte eben nicht fertig, trotz aller Beschwörungsformeln des Präsidenten.

Zardari bekommt zwar immer mehr Rückhalt aus der Bevölkerung, die sich bald nicht mehr auf die Straße traut, wie Einwohner Lahores äußerten, doch scheint er kein Mittel zu finden oder nicht entschlossen zu sein, den Radikalen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn das würde bedeuten, die sozialökonomischen, teils noch feudalistischen Verhältnisse zu ändern und die Machtstrukturen zu zerschlagen, in denen das Militär und die Mullahs kollaborieren. Dazu hat er weder den Willen noch die Kraft. Er sieht es als seine Hauptaufgabe an, sich irgendwie in seinem Amt zu behaupten. So werden Terrorschläge wie der in Multan noch auf lange Sicht zum Alltag Pakistans gehören.

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