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Omas X-Liebling?
»Wann kriege ich endlich meine Enkel?« Das ist nicht nur meine Frage, sondern die von Millionen Eltern auf allen Kontinenten. Charles Darwin würde sie gutheißen, zumindest, wenn die »Großmutter-Hypothese« stimmt. Nach ihr hat die Evolution die Frauen offenbar ausersehen, sich nach der Menopause um ihre Enkelkinder zu kümmern.
Leslie Knapp, Anthropologin der Universität Cambridge, und ihre Studentin Molly Fox untersuchten nun, welche Rolle die genetische Verwandtschaft dabei spielt und publizierten die Ergebnisse in den britischen »Proceedings of the Royal Society B«.
Was ist gemeint? Während Frauen zwei X-Chromosomen besitzen, ist es bei Männern ein X- und ein Y-Chromosom. Bei der Fortpflanzung tragen Ei- und Samenzelle immer nur eines dieser Chromosomen in sich, Frauen geben also immer ein X weiter, Männer aber X oder Y. Die Kombination im Kind bestimmt dann wiederum dessen Geschlecht.
Der Sohn hat also sein X von der Mutter, und die wiederum von ihrer Mama, der Großmutter mütterlicherseits. Das X der Oma mütterlicherseits wird also mit einer 50-prozentigen Chance auf das Enkelkind übertragen, sie ist mit Enkelsöhnen und -töchtern gleichermaßen verwandt.
Sein Y hat der Sohn dagegen vom Vater, und der natürlich vom Großvater. Der Enkelsohn hat also kein X der Oma väterlicherseits! Die Schlussfolgerung von Frau Professor Knapp: Omas väterlicherseits sind ihren Enkelinnen doppelt »X-näher«. Aha!
Das X-Chromosom trägt zwar nur acht Prozent unserer Gene, allerdings darunter solch wichtige wie die für Zeugungsfähigkeit. Knapp sagt nun: »Die Evolution beförderte Frauen bevorzugt, die in ihre Enkelkinder investieren. Das spiegelte ihre X-Verwandtschaft wider!«. Eine gewagte Hypothese. Zum Beweis analysierte das Team existierende Daten des Überlebens von 43 000 Kindern in sieben Gesellschaften – von Bauerndörfern in Japan und Malawi bis zu Städten in Deutschland und Kanada – ab 1600 bis heute. Und fanden ihre X-Verwandtschafts-These bestätigt.
In fast allen Gesellschaften verbesserte die Mutter des Vaters das Überleben der Enkeltöchter (X: 50 Prozent) gegenüber den Enkelsöhnen (X: 0 Prozent) um das bis zu 4,5-fache. Ein Junge wäre diesbezüglich besser dran, wenn er mit der Großmutter mütterlicherseits (X: 25 Prozent) als mit der Oma väterlicherseits (X: 0 Prozent) aufwachsen würde. In vier der sieben Gesellschaften wären die Überlebenschancen eines Mädchens besser, wenn es mit der Großmutter väterlicherseits (X: 50 Prozent) statt mütterlicherseits (X: 25 Prozent) aufwüchse.
Einfach gesagt: Der »Oma-Effekt« folgt exakt der DNA. »Je höher die X-Verwandtschaft,« schreiben die Autorinnen, »desto positivere Effekte hat die Grandma auf das Überleben des Kindes.« Dass diese Korrelation quer über Kontinente und Jahrhunderte besteht, ließe auf eine biologische und nicht auf eine kulturelle Erklärung schließen.
Aber ehe Sie nun Ihre eigene Verwandtschaft analysieren und sich über den Biologismus der Amerikaner empören: Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg für eine bewusste Bevorzugung. Die Forscherinnen nehmen deshalb an, dass Enkelkinder unbewusste Signale der genetischen Verwandtheit aussenden, die von den Großmüttern ebenso unbewusst empfangen werden. Sie raten auch davon ab, ihre Ergebnisse zum Thema besinnlicher Familientreffen zu machen. Nun, zumindest hierzulande dürfte die Zeitschrift der »Königlichen Gesellschaft« wohl kaum neben dem Tannenbaum liegen. In diesem Sinne – ich wünsche Ihnen eine friedliche Weihnachtszeit.
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