Bittere Kälte im Gerichtssaal
Rechtsanwälte beklagen politische Einflussnahme in Strafprozessen
In Berlin-Kreuzberg flogen am 1. Mai 2009 Molotow-Cocktails auf Polizisten, und in diesem Jahr gingen in der Stadt knapp 300 Autos in Flammen auf. Polizei und Justiz können bislang wenig Ermittlungserfolge vorweisen. Von Seiten der Medien und der Politik werde deswegen Druck aufgebaut, der sich auf laufende Strafverfahren auswirkt. Darüber berichteten Rechtsanwälte am Montag Abend in der Berliner Humboldt-Universität.
Ulrich Klinggräff ist Verteidiger im Prozess gegen Yunus K. und Rigo B. Die beiden Jugendlichen sollen am Rande der 1. Mai-Demonstration einen Molotow-Cocktail geworfen haben. Dass sie deshalb wegen versuchten Mordes angeklagt sind, ist ein Novum. Bisher wurde diese Tat als schwerer Landfriedensbruch verfolgt. In dieser Aufwertung sieht der Rechtsanwalt eine politische Komponente der Anklage gegen seinen Mandaten.
Das Gericht zeige sich verurteilungswillig, so Klinggräff, obwohl die Indizien dürftig seien. Zwei Polizeizeugen werde besonderes Gewicht beigemessen – im Gegensatz zu mehreren Entlastungszeugen, die eine andere, ähnlich gekleidete Personengruppe als Täter identifizierten. Das Gericht zeige sich auch von entlastenden Fotoaufnahmen, die die Staatsanwaltschaft zunächst zurückhielt, unbeeindruckt. Laut Klinggräff herrsche eine »bittere Kälte« in der Verhandlung. Seine Anträge auf Aussetzung der seit über sieben Monate andauernden Untersuchungshaft für die beiden 17 und 19 Jahre alten Angeklagten wurden bislang abgelehnt.
Rechtsanwalt Stefan Conen von der Vereinigung Berliner Strafverteidiger, die den Prozess beobachtet, nannte den Haftfortdauerbeschluss »ernüchternd und schockierend«. In einem anderen Verfahren saß eine junge Frau wegen angeblicher Brandstiftung an einem Pkw mehrere Monate unschuldig in Haft. Seit Bestehen der Bundesrepublik zeige sich, so Conen, dass das Strafrecht für Populismus anfällig sei. Leidtragende sind derzeit vor allem vermeintliche Linke und Autobrandstifter. Richter gerieten unter Druck und dabei falle es ihnen schwer, die eigene Unabhängigkeit zu bewahren. Der Rechtsanwalt berichtet von einem Fall einer angesehenen Richterin, die einer Medienschelte ausgesetzt war, weil sie einen Angeklagten nicht wie von der Presse erhofft überdurchschnittlich hoch verurteilte.
Um die Standards eines fairen Prozesses zu wahren, schlägt Conen die Dokumentation von Zeugenaussagen auf Tonband und die wörtliche Protokollierung von Prozessen vor. Mehr Transparenz in Strafverfahren könnte eine Grundlage sein, um der öffentlichen Meinungsmache etwas entgegenzusetzen und zu einer vorurteilsfreien Justiz beizutragen.
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