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Deutschland ein Armenhaus?
Ulrich Schneider über Armutsgefährdung in Ost und West / Ulrich Schneider (51) ist Vorstandsmitglied des Paritätischen Gesamtverbandes
ND: Das Statistische Bundesamt hat gestern neue Daten bekannt gegeben. Danach waren 2008 19,5 Prozent der Ost- und 13,1 Prozent der Westdeutschen gefährdet, in Armut abzurutschen. Überrascht Sie das?
Schneider: Nein, die Zahlen sind nicht überraschend. Wir hatten bereits 2007 ähnliche Ergebnisse. Jetzt ist der Befund da, dass, obwohl die wirtschaftliche Entwicklung im ersten Halbjahr 2008 relativ gut war, sich diese nicht in einer Verbesserung der Armutsquoten niederschlug.
Was sind die Gründe für das hohe Armutsrisiko?
Einer der Hauptgründe ist die anhaltende Erwerbslosigkeit. Ein weiterer Grund der unzureichende Familienlastenausgleich. Das sehen wir bei der überproportionalen Armut von großen Familien oder auch allein erziehenden Frauen, die in Deutschland fast zu einem Drittel zu den Armen zählen.
Offensichtlich ist der Osten stärker als der Westen von Armut betroffen. Doch auch in den alten Bundesländern gibt es Unterschiede. In Bayern liegt die Armutsgefährdung bei rund zehn Prozent, in Bremen beträgt sie etwa 22 Prozent. Warum die Unterschiede von Nord nach Süd?
Wir stellen fest, dass in den Regionen mit Strukturproblemen die Armut auffällig hoch ist. Das ist beispielsweise das Saarland, das Ruhrgebiet sowie Nordfriesland. Hier werden Armutsquoten erreicht, die es sonst nur in Ostdeutschland gibt. Insgesamt haben wir es mit einer Dreiteilung der Bundesrepublik zu tun: Es gibt einen recht wohlhabenden Süden, ein im Mittelfeld liegendes West- und Nordwestdeutschland und einen armen Osten.
Was sollte unternommen werden, um Armut nachhaltig zu bekämpfen?
Wir müssen erstens dafür sorgen, dass das Geld aus den Konjunkturprogrammen dahin geht, wo es am dringendsten gebraucht wird, nämlich in die armen Regionen und hier insbesondere in die armen Familien. Das wäre durch die Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze auf 440 Euro zu erreichen. Wir müssen zweitens in eine offensive Beschäftigungspolitik einsteigen, das heißt in den Ausbau eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors. Wir können nicht noch mehr Steuergeschenke verteilen und warten, dass der Markt die Armut irgendwann beseitigt. Drittens brauchen wir eine vernünftige Infrastruktur gerade für Kinder in Regionen mit besonders hoher Armut, um hier nicht die nächste Generation von Armen schon jetzt zu schaffen.
Der Bundesrat berät am Freitag das schwarz-gelbe Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Wie würde sich diese Maßnahme auf die Armen dieser Republik auswirken?
Dieses Gesetz wird die Spaltung zwischen Arm und Reich noch weiter verschärfen, weil dadurch diejenigen besonders profitieren, die ohnehin schon am meisten haben. Die Ärmsten, sprich Hartz-IV-Betroffene, gehen komplett leer aus, weil das Kindergeld, das erhöht werden soll, direkt angerechnet wird.
Sie gehen also von einer Verschärfung der Armut durch Schwarz-Gelb aus?
Nein, das tue ich nicht. Ich betrachte einzelne Maßnahmen der neuen Bundesregierung. Das ist etwas anderes. Ich gehe davon aus, dass das Wachstumsbeschleunigungsgesetz die soziale Spaltung in Deutschland verschärfen wird. Das schließt nicht aus, dass Schwarz-Gelb sich besinnt, um mit einer Anhebung der Hartz-IV-Regelsätze die Situation der Armen zu verbessern.
Fragen: Christian Klemm
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