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Pécs – die Unvollendete
Die ungarische Stadt versteht sich als Schnittstelle zwischen Ost und West
Pécs ist mit seinen 156 000 Einwohnern die südlichste Großstadt im Lande und kann sich deshalb eines halbmediterranen Klimas erfreuen. Sie zählt überdies zu den ältesten Siedlungen Ungarns: In einer Höhle wurden Spuren einer sechs- bis achttausendjährigen Niederlassung gefunden. Illyrische, keltische, römische, hunnische, awarische und slawische Eroberer siedelten später in der Gegend. Erst die Römer gründeten allerdings eine richtige Stadt und nannten sie Sopianae. Die Erinnerung daran wurde Jahrtausende später wiederbelebt, indem man der beliebtesten ungarischen Zigarettenmarke volksrepublikanischer Produktion diesen Namen gab. Ein real existierendes Nostalgieobjekt sind die »Sopianae« in Ungarn heute noch, doch rauchen mag sie keiner mehr.
Das Christentum wurde im heutigen Pécs im vierten Jahrhundert unserer Zeitrechnung heimisch. Am Ende des achten Jahrhunderts schloss Karl der Große die Stadt an sein Fränkisches Reich an, die Oberhoheit übte fortan das Bistum Salzburg aus. Ein Salzburger Dokument des Jahres 871 bezeichnet die Stadt als »Quinque Basilicae« – Fünf Kathedralen, woraus später der deutsche Name Fünfkirchen entstand.
Die nächsten Eroberer waren schon die Ungarn, die ihr heutiges Land um 900 nach Christus in Besitz nahmen. Der erste König Stephan, der wahrscheinlich zu Weihnachten 1000 gekrönt wurde, gründete bereits 1009 ein eigenes Bistum mit dem nunmehrigen »Quinque Ecclesiae« (Fünf Kirchen) als Zentrum. Der heutige ungarische Name Pécs kommt erstmals in einer Aufzeichnung aus dem Jahre 1235 vor. Auch die erste Universität Ungarns wurde im Jahr 1367 in dieser Stadt gegründet.
Während seiner tausendjährigen ungarischen Geschichte hat Pécs viele Kulturen in sich vereint, in der Stadt lebten unter anderem Serben, Kroaten, osmanische Muslime, Roma und Schwaben, wie die deutsche Minderheit hierzulande genannt wird. Die dadurch entstandene Vielfarbigkeit sieht und spürt man auch heute noch: In Pécs leben etwa ein Dutzend Minderheiten, und den begehrten Titel der Kulturhauptstadt verdankt die Hauptstadt des Komitats Baranya wohl nicht zuletzt diesem Ruf der Vielvölkerurbanität.
Allerdings scheint es ganz so, als ob sich die Programmgestalter des Kulturhauptstadtjahres gerade für den Multikulturalismus der Stadt am wenigsten interessieren. Die Minderheiten werden bestenfalls für eine in den Augen der westlichen Welt korrekte Schaufensterpolitik benutzt. Der vielleicht bekannteste ungarische Roma-Maler István Kosztics aus Pécs, dessen Werke im örtlichen Kulturzentrum zur Zeit noch ausgestellt sind, taucht im offiziellen Programm des Hauptstadtjahres an keiner Stelle auf. Und so geht es anderen auch: Es gibt keine einzige Veranstaltung, die den Minderheiten Platz einräumen würde.
Dessen ungeachtet bietet das Jahresprogramm verschiedenen Kunstgattungen und Kunstformen durchaus ein Forum. Das Bemühen um Eigenwerbung kommt hier und dort auch ein wenig schräg daher, etwa wenn eine Liste von Auftretenden, unter denen bestenfalls zwei oder drei international bekannte Künstler zu entdecken sind, den schönen Titel »World Stars in Pécs« trägt. Am meisten haben sich die Museen einfallen lassen, mehrere interessante und qualitativ vielversprechende Ausstellungen sind geplant.
In Ungarn hatten sich rund um den Erwerb des Titels Kulturhauptstadt nicht unerwartet heftige Kämpfe abgespielt. Nachdem Pécs schließlich die zehn Mitbewerber besiegt hatte, schienen den Stadtvätern aber Tatenfreude und Energie ausgegangen zu sein. Seither hört man mehr von Korruption und internen Streitigkeiten als von fröhlich-zuversichtlicher Aufbruchstimmung.
Pécs versteht sich als Schnittstelle zwischen West und Ost, in diesem Falle also zwischen Essen und Istanbul, den anderen beiden Kulturhauptstätten 2010. Der ungarische Schriftsteller und Theatermann Róbert Balogh formulierte unlängst: »Pécs ist eine kleine aber bunte Stadt. Es ist nicht der Balkan, aber in der Nähe des Balkans.« Ob die Tatsache, dass die meisten Großprojekte, eine neue Konzerthalle, Hotels und ein Künstlerviertel nahe der berühmten Porzellanfabrik Zsolnai, nicht termingerecht fertig werden, mit dieser eigenwilligen Stellung der Stadt im Herzen Europas zu tun hat, mag offen bleiben. Gewiss ist hingegen, dass eine behördliche Großrazzia auf den Pécser Baustellen der öffentlichen Hand vor einigen Wochen zu weiteren Verzögerungen beiträgt. Unter den kontrollierten Arbeitern fand man mehr als 30 Prozent Schwarzarbeiter, die vor der Kontrolle Entlaufenen nicht eingerechnet. Die Fertigstellung des Künstlerviertels ist mittlerweile für frühestens 2011 geplant, eine leere Halle für Veranstaltungen will man aber auch dort zur Verfügung stellen.
Die Organisatoren behandeln die Probleme rund um das Kulturjahr 2010 indessen mit einer Gelassenheit, wie sie ansonsten im politischen Leben Ungarns vom Aussterben bedroht ist. Die Leiterin des Direktoriums der Landesmuseen des Komitats Baranya Júlia Fabényi drückte dies gegenüber einem Radiosender jüngst so aus: »Pécs war schon immer und bleibt weiterhin eine Kulturhauptstadt, auch wenn vieles nicht fertig wird.«
Programm: en.pecs2010.hu
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