Soldaten werden zum Morden ermuntert
Nicht erst seit dem Massaker bei Kundus ist deutlich, dass die Bundeswehr aggressiver wird
Der abgesetzte Generalinspekteur der Bundeswehr General Wolfgang Schneiderhan hat, wie die FAZ schon Anfang 2003 berichtete, »über bisher Undenkbares« nachgedacht. Über die Frage nämlich, »ob es richtig sein kann, nicht abzuwarten, ob man von einem anderen angegriffen wird, sondern sich gegen diese mögliche Gefahr vorauseilend zu schützen und selbst die Initiative zu ergreifen«. Was seinerzeit »undenkbar« war, wird in der Bundeswehr heute praktiziert. Frühere Hemmungen sind beseitigt.
Und so ließ Oberst Georg Klein mit Bombern eine Gruppe von Afghanen angreifen, die zwei geklaute, manövrierunfähige Tanklastzüge umringten. Unter ihnen konnten ja Terroristen sein, und dann ist alles erlaubt. Rund 150 Todesopfer wurden gezählt. Der zuständige Minister billigte den Massenmord sofort, so in seiner Erklärung vom 6. September. Oberst Klein hatte ihm berichtet, es sei ihm darum gegangen, die Menschen am Kundusfluss »zu vernichten«. Der zurückgetretene Minister denkt ja in ähnlichen Kategorien: Wer zum Beispiel ein Flugzeug entführt, soll, weil er ja ein Terrorist sein könnte, abgeschossen werden, ob Unbeteiligte dabei sind oder nicht. Ein mutmaßlicher Terrorist ist todgeweiht, ungeachtet dessen, dass die Todesstrafe abgeschafft wurde. Daran hielt Jung fest, obwohl das Bundesverfassungsgericht es ihm untersagte. Zwei Wochen nach dem Massaker von Kundus schrieb »Ossietzky« über Jung: »Da er zudem die Bundeswehr nicht nur in der Luft über uns, sondern auch auf dem bundesdeutschen Festland einsetzen will, darf man mit Unruhe und Angst erwarten, was er unternimmt, wenn mutmaßliche Terroristen einmal auf einer unserer Autobahnen einen Tanklastzug entführen.«
In Publikationen, die in der Bundeswehr verbreitet werden, wird stattdessen ein Ende der Gerichtsverfahren gegen Wehrmachtskriegsverbrecher gefordert. Bundeswehrgeneral a. D. Jürgen Reichardt äußerte, auch die heutigen Bundeswehrsoldaten könnten »in Situationen« geraten, in denen sie wie einst Hitlers Soldaten »überreagieren« (Siehe »Gebirgstruppe« Heft 6/08). Sie müssten dann befürchten, noch nach Jahrzehnten vor Gericht gestellt zu werden. Deshalb solle Schluss sein mit der Verurteilung der Wehrmachtsverbrechen und der Wehrmachtsverbrecher. In der Zeitschrift der Gebirgstruppe sprang Reichardt ausdrücklich dem in München zu lebenslanger Haft verurteilten Leutnant a. D. Joseph Scheungraber bei, der wegen des Mordes an 14 italienischen Zivilisten angeklagt war.
Die Opposition im Bundestag argwöhnte bereits, dass die Regierung jenseits des geltenden Bundestagsmandats eine verschärfte Afghanistan-Strategie beschlossen habe. Sie gründete diesen Verdacht darauf, dass im Juli die sogenannte Taschenkarte für die Soldaten präzisiert worden war. Die Taschenkarte ist ein vierseitiges Papier, mit dem den Soldaten im Einsatz die Regeln für die Anwendung militärischer Gewalt verdeutlicht werden sollen. Demnach ist Gewaltanwendung erlaubt zur »Verhinderung und Abwehr von Angriffen« gegen NATO- oder ISAF-Angehörige sowie gegen afghanische Sicherheitskräfte. Angriffe können dadurch verhindert werden, »dass gegen Personen vorgegangen wird, die Angriffe planen, vorbereiten, unterstützen oder sonstiges feindseliges Verhalten zeigen«, heißt es (zitiert in der SZ vom 15.12.09). Durch diese Taschenkarte »könnte sich Oberst Georg Klein ermutigt gefühlt haben, die Bombardierung der Tanker zu befehlen«.
Das Mai-Heft des Bundeswehr-Magazins »Y« warb noch auf schwarz-rot-gelbem Titelbild mit dem Text: »Soldaten helfen Kindern in Not«. Das Juni-Titelbild zeigt zwar ein Milchgesicht, aber angetan mit allem, was die Kriegsindustrie hergibt, und das Gewehr ist schussbereit. Die Schlagzeile lautet: »Bewährt im Einsatz«, im Kriegseinsatz nämlich und dies »seit 15 Jahren«. Die Bundeswehr war nie die größte Friedensbewegung, wie sie sich bis 1989 gern nannte. Aber inzwischen versteht sie sich als eine Armee im bewaffneten weltweiten Einsatz. Zu diesem Zweck wurde sie transformiert. »Die Transformation der Bundeswehr war erfolgreich und hält an«, schreibt der Chefredakteur von »Y«.
Die Medien der Bundeswehr, aber auch viele öffentliche Medien wehren sich gegen die Verwendung des Begriffs »Kriegsverbrechen« im Zusammenhang mit dem »Vorfall« am Kundus-Fluss vom 4. September. Doch was ist ein Kriegsverbrecher?
Kriegsverbrecher haben sich im Rahmen des Vernichtungskrieges 1939 bis 1945 an der »Ermordung und Misshandlung von Zivilisten, ihrer Verschleppung zur Zwangsarbeit, Tötung von Geiseln, mutwilliger Zerstörung von Dörfern, Misshandlung von Kriegsgefangenen und an mit Kriegshandlungen nicht gerechtfertigten Verwüstungen« beteiligt. So definierte es das Nürnberger alliierte Gericht 1946 im Prozess gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher. Von Ermordung von Zivilisten und mit Kriegshandlungen nicht gerechtfertigten Verwüstungen muss sicherlich im Zusammenhang mit der Untat des Oberst Georg Klein gesprochen werden.
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