Letzte Ausfahrt Vegas
Heute wäre Elvis Presley 75 Jahre alt geworden
Es ist eine stille Übereinkunft zwischen Vermarktern und Fans: »Er« soll so in Erinnerung bleiben, wie er Millionen bewegt hat. Und so werden die zahllosen Anhänger, die heute zum ehemaligen Anwesen ihres Idols pilgern, Fotos aus dessen letzten Lebensjahren vergeblich suchen. Elvis Presley, der erste Megastar der Neuzeit, wäre heute 75 Jahre alt geworden – und nichts soll das Andenken trüben.
Mit echten Elvis-Aficionados, die zum Teil eine trotzige bis aggressive Verehrung an den Tag legen, ist ohnehin nicht zu spaßen. Kritik an den Filmen oder Hinweise auf die unleugbare Verwahrlosung des Schmachtbarden im Endstadium wird etwa in den zahllosen Internet-Fanforen auf das Wüsteste zurückgewiesen. Entspannter sind da die Anhänger, die eher vom allgemeinen Trash-Appeal des »Kings« angezogen werden, als von dem retuschierten Bild des Saubermanns. Für sie birgt die Presley-Mischung aus Speedfreak, verkitschtem Schwiegermuttertraum und maßlosem, erdnussbuttersüchtigem Glam-Rocker ein großes Kultpotenzial. Sie lieben auch – oder gerade – den fetten Alkoholiker, der sich selbstvergessen in hautenge, bis zum Becken ausgeschnittene Overalls zwängt, riesige Sonnenbrillen trägt und den Text vergisst.
Es zeugt von fehlender Souveränität der Elvis-Gralshüter, dass sie dem größten Pop-Phänomen aller Zeiten nicht auch Schwächen zugestehen und diese als Teil des Gesamtkunstwerks sehen.
Elvis' Tragik weist Parallelen zu Michael Jacksons Niedergang auf. Mit dem »King of Pop« muss er sich nicht nur den Beinamen teilen. Auch verbindet die beiden ihre magische Darstellerkunst, die Schwäche für Psychopharmaka und teure Hässlichkeiten wie die Anwesen Neverland und Graceland – sowie die etwas merkwürdige Liaison zwischen Elvis' Tochter Lisa Marie und Michael Jackson. Beide Popstars wirken zudem polarisierend. Der riesigen Fangemeinschaft steht jeweils auch eine lautstarke Minderheit gegenüber, die im Falle Jackson »Verrat« und bei Elvis »haltet den Dieb!« oder gar »Rassist!« ruft.
Es ist nicht zu leugnen, dass Elvis keinen einzigen Song selbst geschrieben, aber mit schwarzer Musik historische Erfolge gefeiert hat – in Zeiten als den afroamerikanischen Schöpfern dieses Stils genannt Rock 'n' Roll bestenfalls der Dienstboteneingang offen stand. Andererseits war und ist die Figur des reinen Interpreten allgegenwärtig in der Popmusik. Der Vorwurf des Diebstals erscheint zudem etwas kleinlich, angesichts der Tatsachen, dass Musikproduzenten immer von der Aneignung und Neuinterpretation anderer Stile lebten und dass Elvis seinerseits zahllose Male kopiert wurde. Und was für ein Rassist sollte das sein, der sich in den US-Südstaaten der 1950er Jahre so ernsthaft mit »Nigger«-Musik beschäftigt und dann auch noch so unerhört mit dem Becken dazu zuckt? Die reaktionären Kreise, die Elvis später so verehrten, wünschten ihn zur Hölle, als 1954 »That's allright Mama« die Teenager zum Ausrasten brachte.
Dennoch herrscht in Teilen der schwarzen Community in den USA bis heute nachvollziehbares Misstrauen gegenüber allem, was mit Elvis zu tun hat. Andererseits hat sich das weiße »saubere« Amerika entschlossen, ausgerechnet den Amphetaminjunkie, von dem über eine Milliarde Tonträger verkauft wurden und mit dessen Namen bis heute jährlich durchschnittlich 30 Millionen Dollar verdient werden, als angeblich unbescholtene Gallionsfigur zu verteidigen.
Zwischen 1953 und 1959 wurde der schüchterne Schönling aus ärmlichsten Verhältnissen in Tupelo, Mississippi mit Songs wie »Heartbreak Hotel« oder »Jailhouse Rock« zum weltweiten Massenphänomen – und zum Protestsymbol. Doch dieses revolutionäre Potenzial war spätestens 1960 verbraucht – nach seinem Wehrdienst in Deutschland und den ersten familientauglichen Comedy-Musicals. In einem Knebelvertrag gefangen, nötigt ihm Hollywood in nicht einmal zehn Jahren knapp dreißig dieser flachen Fließbandproduktionen ab – nebst kommerziell stets erfolgreichen Soundtracks. Mit dem Eintreffen in der Traumfabrik begann für den einstigen Rockrebellen eine künstlerische wie private Abwärtsspirale, in der er sich bis zu seinem Tod am 16. August 1977 in Memphis drehen sollte.
Einmal, 1969, blitzte noch Hoffnung auf, für den, der sich so nach ernsthaften Stoffen sehnte. Er war vertraglich nicht mehr gebunden, wollte wieder auf die Bühne und nahm mit »In the Ghetto« und »Suspicious Minds« zwei seiner bewegendsten Lieder auf. Doch dann nimmt er just in diesem Jahr die Ausfahrt nach Las Vegas.
Aufgekauft vom bizarren Rüstungsmilliardär Howard Hughes und anderen Finanz-Abenteurern, brauchte die damalige Mafia-Kasinostadt für ihr neues, sauberes Konzept die passenden Künstler. Das schwere Erbe des Rat-Packs um Genius Frank Sinatra musste angetreten werden. Und Elvis wird diesen an Absurdität kaum zu übertreffenden Ort für die letzten Jahre seines Lebens zum zumindest beruflichen Mittelpunkt machen und bis heute prägen. Und er wird, wieder alle kommerziellen Rekorde brechend, mit weißem »Jumpsuite«, Umhang und Gospelkitsch die Vorhut der heutigen Vegas-Bombast-Unterhaltung à la Siegfried und Roy oder Cirque du Soleil sein. Vielleicht haben seine Fans doch recht – bei manchen Dingen sieht man besser weg.
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