»Nationalgarde« nach US-Vorbild

Polen schafft Reserveeinheiten / Einsatz bei Auslandsmissionen möglich

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 2 Min.
Seit dem 1. Januar 2010 hat Polen eine Berufsarmee. 100 000 Soldaten sollen darin Dienst tun. Zum Ende des vergangenen Jahres dienten im Wojsko Polskie 141 Generäle, 22 170 Offiziere, 42 000 Berufsunteroffiziere und 32 000 Berufssoldaten.

Das 2008 im Regierungsprogramm der Bürgerplattform formulierte Ziel, die polnischen Streitkräfte zu »professionalisieren«, wäre somit erreicht und das Mannschaftssoll erfüllt. Es war übrigens das einzige Versprechen, das gehalten wurde.

Für einen sicheren Job in der Berufsarmee gibt es weitere fast 3000 Bewerber. Die letzten Wehrpflichtigen wurden im vorigen August in die Reserve entlassen. Wie das 2009 novellierte Gesetz zur Landesverteidigung vorsieht, können sie sich um einen Platz in den Nationalen Reserveeinheiten (NSR) bewerben. Wie der Internetseite des Verteidigungsressorts zu entnehmen ist, wird für dieses Jahr eine Stärke der NSR von 20 000 Soldaten geplant; nächstes Jahr sollen weitere 10 000 hinzukommen. Mitglieder dieser Einheiten, die einen Zivilberuf ausüben, sollen – wie die »Gazeta Wyborcza« berichtet – bei Naturkatastrophen und bei der Abwehr terroristischer Angriffe zum Einsatz kommen. Jährlich sollen sie zur »Verbesserung ihrer Ausbildung« an Übungen teilnehmen.

Nach den Worten von Oberst Sylwester Michalski aus dem Generalstab der polnischen Armee muss die »patriotische Haltung auch materiell motiviert sein«. Für die Zeit ihrer vertraglichen Verpflichtung (zwischen zwei und sechs Jahren) werden die polnischen »Gardisten« daher im Einsatzfall mit dem zweieinhalbfachen Durchschnittslohn eines Beschäftigten in der Produktion vergütet. »Das ist immerhin günstiger als ein Hilfsarbeiterjob im Supermarkt oder als Angestellter in irgendeinem Wachdienst«, meint Jaroslaw Bader, Vorsitzender des »Unabhängigen Militärforums«. Nach Angaben des Militärischen Instituts für gesellschaftliche Forschungen sind 73 Prozent der ehemaligen Berufssoldaten und 56 Prozent der ehemaligen Wehrpflichtigen bereit, sich für die NSR zu bewerben.

Nach USA-Vorbild, was in Polen inzwischen fast eine Selbstverständlichkeit ist, soll die NSR die polnische Variante der US-amerikanischen Nationalgarde darstellen. Da nun aber Polen kein föderativer Staat, sondern ein zentralistisch regiertes Land sei, würden die NSR-Einheiten nicht den Wojewoden unterstellt, sondern den Kommandeuren bestehender Militärverbände angegliedert werden. Da für ausländische »Missionen« von Wojsko Polskie (derzeit außer Irak und Afghanistan noch sieben weitere) oft entsprechende »Fachkräfte« fehlen, könnten für besagte Einsätze auch »Gardisten« gebraucht werden.

Im Haushalt des Verteidigungsressorts sind für die Schaffung der NSR Mittel bereitgestellt. Möglicherweise könnten diese noch ergänzt werden: Aus dem Fonds »Militärischen Eigentums« werden nämlich derzeit alle Altbestände an Fleisch-, Fett- und Fischkonserven, Pulvermilch, Mehl, Zucker, Möbel, Uniformjacken, Unterwäsche und Socken im Ausverkauf angeboten. Die Ware geht gut; vor allem Vertreter von Nichtregierungsorganisationen stehen Schlange vor den Verkaufsstellen, um für die Armenküchen und Obdachloseneinrichtungen nützliche Sachen zu erhaschen.

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