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Das bittere Los der Zuckersklaven

In Brasilien arbeiten 500 000 Zuckerrohrschneider unter meist erbärmlichen Bedingungen

  • Gerhard Dilger, Porto Alegre
  • Lesedauer: 4 Min.
Brasiliens größter Zucker- und Ethanolproduzent Cosan hat ein Imageproblem: Vorletzte Woche setzte das Arbeitsministerium den Konzern mit einem Marktanteil von zehn Prozent auf die »schmutzige Liste« jener Unternehmen, die Arbeiter unter sklavenähnlichen Bedingungen beschäftigen.

Guariba, eine Kleinstadt fünf Autostunden nordwestlich von São Paulo: Um fünf Uhr morgens, es ist noch dunkel, steigt der schmächtige Zuckerrohrarbeiter Francisco Cardoso in den Bus, der ihn nach einer langen Fahrt zu einem der umliegenden Felder bringt. Bis drei Uhr dauert die Akkordarbeit. Der 31-Jährige, der seit sechs Jahren in Guariba arbeitet, klagt über Rückenschmerzen. »Ich habe einmal miterlebt, wie mein Schwager erschöpft zusammengebrochen ist«, berichtet er. »Er wäre fast umgekommen.«

Im Juni 2007 hatten Inspekteure des Arbeitsministeriums auf Zuckerrohrfeldern bei einer der 21 Cosan-Fabriken im Bundesstaat São Paulo 42 Arbeiter entdeckt, die unter sklavenähnlichen Bedingungen schufteten. Die Inspektoren listeten 13 Verstöße gegen die Arbeitsgesetzgebung auf, darunter inadäquate Wohnbedingungen, Einsatz von Minderjährigen bei Schwerstarbeit oder das Fehlen von Trinkwasser am Arbeitsplatz. Zudem wurden die Wanderarbeiter aus dem nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco von einem Subunternehmer in Schuldknechtschaft gehalten. In einer Presseerklärung wälzte Cosan die Verantwortung auf das Drittunternehmen ab, von dem es sich längst getrennt habe.

Vorletzte Woche setzte das Arbeitsministerium nun Cosan auf die »schmutzige Liste« jener Unternehmen, die Arbeiter unter sklavenähnlichen Bedingungen beschäftigen. Daher muss der Multi bis auf Weiteres auf die Förderung durch die staatliche Entwicklungsbank BNDES verzichten, etwa auf einen Kredit in Höhe von umgerechnet 256 Millionen Euro für den Bau einer Zuckerfabrik im Bundesstaat Goiás.

Die Bedingungen bei Cosan sind kein Einzelfall. »Heute ernten die Zuckerrohrschneider im Schnitt zwölf Tonnen Zuckerrohr am Tag, doppelt so viel wie in den achtziger Jahren«, sagt der Ökonom Francisco Alves. »Bei der Arbeit unter brennender Sonne führen sie um die zehntausend Machetenhiebe aus und verlieren bis zu acht Liter Wasser am Tag.« Immer wieder sterben Zuckerrohrschneider an Herzinfarkt. Doch kein Gericht stellt fest, was für Alves auf der Hand liegt: dass diese Todesfälle mit »systematischer Überanstrengung« zusammenhängen. Wer überlebt, ist nach zwölf Jahren ausgebrannt.

Knapp 200 000 Zuckerrohrarbeiter schuften allein auf den Feldern des Bundesstaats São Paulo – eine halbe Million sind es landesweit. Die meisten von ihnen sind Wanderarbeiter aus dem brasilianischen Nordosten. Acht Monate pro Jahr schneidet Francisco Cardoso Zuckerrohr und verdient damit monatlich umgerechnet 250, manchmal auch 300 Euro – je nach geernteter Menge. »Die Migranten wissen sich kaum zu wehren«, weiß Schwester Inês Facioli von der katholischen Wanderarbeiterseelsorge.

Seit gut 20 Jahren kümmert sie sich um die Arbeitsnomaden und klärt sie über ihre Rechte auf. Zusammen mit Menschenrechtlern, Gewerkschaftern und Umweltgruppen haben die Basischristen handfeste Erfolge erzielt. Die Kinderarbeit ist auf den Plantagen mittlerweile abgeschafft. Die Arbeiter werden nun mit Bussen statt mit Lastwagen auf die Felder gefahren. Es gibt weniger Verstöße gegen die Arbeitsgesetze. »Dennoch, es ist ein Wirtschaftsmodell, das den Landbesitz, den Reichtum und die politische Macht konzentriert«, sagt der Staatsanwalt Marcelo Goulart aus Riberão Preto. »Technisch ist die Zuckerindustrie auf dem neusten Stand, sozial ist sie genauso rückständig wie im Nordosten.«

An der Börse von São Paulo fiel der Aktienkurs von Cosan am letzten Donnerstag um 5,3 Prozent. Ausländische Anleger halten den Löwenanteil der Cosan-Aktien. Der Konzern hat Verarbeitungskapazitäten für 61 Millionen Tonnen Zuckerrohr, das entspricht genau einem Zehntel der für 2009 geschätzten Menge in ganz Brasilien. Zudem ist Cosan der größte Ethanolexporteur der Welt, im dritten Quartal 2009 kam er auf einen Umsatz von 1,43 Milliarden Euro. Wegen der Rezession in den USA geht der größte Anteil des exportierten Agrosprits derzeit in die EU.

Am Freitag setzte der brasilianische Zweig der Supermarktkette Wal-Mart seine Lieferverträge mit Cosan aus. Petrobras und Shell wollten einen solchen Schritt ebenfalls prüfen, hieß es. In der Justiz erzielte der Zucker- und Energiemulti jedoch einen ersten Erfolg: Ein Richter forderte das Arbeitsministerium auf, Cosan wieder von der »schmutzigen Liste« zu streichen, auf der sich derzeit 164 Unternehmen oder Farmen befinden. Sie werden zwei Jahre lang von der Finanzierung durch staatliche Banken ausgeschlossen. Auch Agrarminister Reinhold Stephanes findet die Maßnahme gegen Cosan »übertrieben«.

2009 wurden in Brasilien nach Angaben der katholischen Kirche 4236 moderne Sklaven befreit, 36 Prozent davon in den Staaten des Südwestens. »Doch die Dunkelziffer ist um ein Vielfaches höher«, sagte Xavier Plessat von der Landseelsorge CPT gegenüber ND. Jahr für Jahr träten 25 000 bis 40 000 neue Wanderarbeiter in den »Zyklus der Sklavenarbeit« ein. »Je mehr Kontrollen stattfinden, desto mehr Opfer werden sichtbar«, berichtet der französische Mönch, der die Kampagne der Basiskatholiken zur Abschaffung der Sklavenarbeit leitet. Dass sich Zuckerfirmen, die sich lediglich zur Einhaltung der gesetzlichen Mindeststandards verpflichten, mit Ökosiegeln schmücken, hält er für absurd.

Menschenunwürdige Arbeitsbedingungen herrschen aber nicht nur auf Zuckerrohrfarmen, sondern auch bei der Obsternte im Süden, auf Soja- oder Baumwollplantagen in Bahia oder in den Köhlereien Amazoniens. Sieben Jahre nach dem Amtsantritt von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva sei die Bilanz »widersprüchlich«, findet Xavier Plessat: »Im Arbeitsministerium gibt es echtes Engagement gegen die Sklavenarbeit, aber der Ausbreitung des Zuckerrohrs und anderer Monokulturen werden keinerlei Schranken gesetzt.«

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