Guter Retter, schlechter Retter
Meißen verwehrt einem mutigen Mann die Ehrung, weil er nach 1945 für die SED aktiv war
Als 1945 der Krieg auch in Meißen zu Ende ging, riskierten zwei Männer für die Schonung der Stadt ihr Leben. Um ihre Ehrung gibt es jetzt einen bizarren Streit. Der Grund: Willy Anker, einer der Retter, war nach der Befreiung Vizebürgermeister und SED-Mitglied.
Als ob man über den Standort der Gedenktafel nicht zur Genüge debattieren könnte. Soll sie am Rathaus von Meißen angebracht oder lieber im Inneren des historischen Gebäudes am Markt aufgehängt werden? Oder lässt man sie lieber doch in den Gehweg ein? Ausreichend Stoff für viel kommunalpolitischen Streit – schließlich hat jede Variante überzeugte Verfechter.
Doch bei der Frage des »Wo« ist man in Meißen auch knapp vier Monate vor dem 65. Jahrestag der Ereignisse, an die zu erinnern wäre, noch nicht recht angelangt. Erbittert wird vielmehr gestritten, welchen Text man, wenn schon eine Tafel angebracht wird, auf diese schreiben soll – und ob dabei auch Namen genannt werden sollen. Der Streit hält seit drei Jahren an. Ein Ende ist nicht in Sicht.
Angst vor Zerstörung
Als Herbert Böhme und Willy Anker in den letzten Kriegswochen im Frühjahr 1945 mutig versuchten, ihre Stadt vor der Zerstörung zu bewahren, war für lange Abwägungen keine Zeit. Meißen war im Angesicht der anrennenden sowjetischen Truppen zur Festung erklärt worden, als Superintendent Herbert Böhme am 27. April beim Bürgermeister vorsprach und ihn drängte, auf die Verteidigung der Stadt zu verzichten, die eine weitgehende Zerstörung befürchten lassen musste. Das Stadtoberhaupt schickte den Kirchenmann zum SS-Festungskommandanten, dieser sandte ihn zurück ins Rathaus – wo sein Todesurteil ausgefertigt wurde. Diese Strafe drohte bereits seit 1944 allen »Defätisten«. Im April '45 hatte NSDAP-Reichsleiter Bormann bekräftigt, wer nicht bis zum letzten Atemzug kämpfe, werde wie ein Fahnenflüchtiger behandelt.
Diese Anweisung galt auch noch, als die Rote Armee am 6. Mai vor den Toren der Stadt kämpfte. Für 10 Uhr an diesem Tag war die Bevölkerung zur vollständigen Evakuierung aufgefordert; sie sollte quasi das Kampffeld räumen. Wieder jedoch wurde Widerspruch geäußert, diesmal von Willy Anker. Der langjährige SPD-Ortschef intervenierte ebenfalls beim Bürgermeister und sprach anschließend, obwohl ihm ein anwesender Hauptmann der Wehrmacht mit sofortiger Erschießung drohte, sogar vom Rathausbalkon zu den zahlreich auf dem Markt versammelten Bürgern. Diese sollten, so Anker, Ruhe bewahren, keinen Widerstand leisten und nicht plündern. Dass der Offizier nicht eingriff, ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass er durch eilig überbrachte Nachrichten zur Flucht animiert wurde. Stunden später war Meißen frei, tags darauf Dresden, wo der zum Tod verurteilt Böhme in den Wirren aus dem Gefängnis freikam.
Eine Würdigung der beiden mutigen Bürger stünde wohl nicht in Frage – hätte sich nicht Willy Anker auch in den Nachkriegsjahren eifrig in der Kommunalpolitik engagiert. Der an diesem Sonntag vor 125 Jahren geborene Drechsler, den sogar die Gestapo als »aktivsten SPDler von Meißen« ansah, wurde direkt nach Kriegsende als Vizebürgermeister eingesetzt. Zudem trieb er den Zusammenschluss mit der KPD voran, der in Meißen bereits Ende Mai 1945 beschlossen wurde. Bis 1950 arbeitete er im Rathaus, zuletzt zuständig für Handel und Versorgung. Solches Engagement in der Nachkriegszeit und in der jungen DDR gilt in Meißen offenbar als anstößig – wohl auch, weil nach dem 1960 verstorbenen Anker später nicht nur eine Straße und eine Schule benannt, sondern auf einer 1975 am Rathaus befestigten Tafel auch behauptet wurde, seine Worte vom 6. Mai '45 seien nun »sozialistische Wirklichkeit geworden«. Als der Sozialismus keine Wirklichkeit mehr war, wurden die Namen getilgt und die Tafel entfernt. Als im Februar 2006 wieder über ein Gedenken beraten wurde, wetterte ein CDU-Stadtrat, Anker sei »nach unserer Ansicht kein Kämpfer gegen die braune Diktatur, sondern der erste Propagandist der folgenden roten Diktatur«. Zudem habe er, fügte ein FDP-Mann hinzu, »mit seiner Unterschrift bestätigt, dass mein Vater deportiert wurde«.
Kein Mann der Diktatur
Beide Äußerungen erwiesen sich als haltlos. Der von Ankers Familie verklagte Liberale, der keine Belege für seine Behauptung hatte, verpflichtete sich zu Unterlassung; dem CDU-Stadtrat attestierten die Staatsanwälte »politische Wertungen, die nicht den tatsächlichen historischen Tatsachen entsprechen«. Diese Einschätzung teilen auch Historiker. Maik Schmeitzner vom Hannah-Arendt-Institut in Dresden, das unkritischer Parteinahme für Funktionsträger in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR unverdächtig ist, erklärte bei einem Vortrag in Meißen Ende 2007, Anker sei »kein Mann der Diktatur, kein militanter Kommunist, auch kein Mann der Privilegien« gewesen. Seine Tat vom Mai 1945 sei zudem eine »bemerkenswerte Leistung, die auch nicht durch seine spätere KPD/SED-Mitgliedschaft geschmälert wird«.
Auch derlei Plädoyers führten im Meißner Rat freilich nicht zu einer Entscheidung; vielmehr beschäftigt die zähe Debatte noch immer die Auschüsse. Einig scheinen sich alle Beteiligten darin zu sein, dass, anders als auf der alten Tafel, sowohl Anker als auch Böhme erwähnt werden müssten. Diesen Vorschlag des inzwischen verstorbenen früheren Stadtarchivars und Ehrenbürgers Helmut Reibig begrüßt auch der Ortsverband der VVN, dem es zunächst vorwiegend um die Ehrung Ankers gegangen sei, sagt Vorsitzender Rudolf Richter. Er erinnert daran, dass sowohl Anker als auch der in die Ost-CDU eingetretene und 1975 verstorbene Superintendent Böhme VVN-Mitbegründer in Meißen waren.
Freilich: Die Vorbehalte vor allem bei bürgerlichen Stadträten gegen Anker haben auch zu dem Vorschlag geführt, auf die Nennung von Namen gänzlich zu verzichten und nur an die Handlungen »mutiger Bürger« bei Kriegsende zu erinnern. Das lehnt nicht nur Monika Rösler ab, die Enkelin von Willy Anker, die es »für ein Gemeinwesen wichtig« hält, »möglichst anschaulich an jene Personen zu erinnern, die sich einst ganz besonders selbstlos und todesmutig für seine Rettung eingesetzt haben«. Auch Stadtchronist Gerhard Stei-nicke bezeichnet einen Verzicht auf die Namen als »falsche Scheu« und betont, man müsse diejenigen, die »deutlich erkennbar ihr Leben gefährdet haben, beim Namen nennen«. Steinicke hat einen von mehreren im Rathaus kursierenden Textvorschläge für eine neue Tafel erarbeitet. Dort sind Böhme und Anker als »Wortführer« der mutigen Bürger benannt, die im April und Mai 1945 für die Bewahrung der Stadt eingetreten seien. Beide, heißt es, seien deshalb »nur knapp dem Tode« entgangen.
Davon, in Stein gehauen oder auf Porzellan gedruckt zu werden, ist freilich auch dieser Text noch weit entfernt. Grund sind nicht zuletzt Einwände, die von den Nachfahren Herbert Böhmes angeführt werden. Georg Böhme-Korn, Neffe der Tochter Herbert Böhmes und CDU-Stadtratsmitglied in Dresden, verweist zum einen auf den »erbitterten politischen Streit um die Rolle Willy Ankers«, aus dem er und seine betagte und pflegebedürftige Tante sich möglichst heraushalten wollten. Er merkt an, dass an den Superintendenten bereits seit 20 Jahren durch einen Straßennamen erinnert werde. Auch eine Tafel im Meißner Dom ehrt Böhme.
War der eine mutiger?
Als folgenreich könnten sich zudem Einwände gegen eine, wie Böhme-Korn formuliert, »absolut gleichberechtigte Nennung der beiden Namen« erweisen. Damit habe man »gewisse Schwierigkeiten«, sagte er ND. Schließlich sei sein Vorfahr zum Tode verurteilt worden, bei Anker am 6. Mai war die Situation »schon eine andere«.
Diesen Einwand lässt Steinicke nicht gelten: »Bei den Nazis ging es bis zuletzt im Leben und Tod«, sagt der Chronist: »Die eine Tat war so gefährlich wie die andere.« Eine kürzlich gegründete Initiativgruppe will immerhin versuchen, der Position Böhmes Rechnung zu tragen, sagt Mitglied und LINKE-Stadtrat Andreas Graff. Ein entsprechender Textvorschlag soll einem Arbeitskreis vorgelegt werden, der den Stadtrat beraten soll, aber bislang noch gar nicht eingesetzt ist. Das müsse nun umgehend geschehen, fordert Graff: »Bis Anfang Mai ist nicht mehr viel Zeit.«
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