Merkel träumt von der »Volkspartei für jeden«
Das Strategie-Papier der CDU-Führung will es möglichst vielen Wählergruppen recht machen
Angela Merkels kleine Regierungskrise bringt jetzt sogar den Euro unter Druck. Weil sich an fernöstlichen Börsen das Gerücht hielt, die glücklose Kanzlerin wolle demnächst zurücktreten, verlor die europäische Währung in den gestrigen Morgenstunden an Wert. Außerdem sollen Äußerungen Merkels, wonach der Euro unter Druck geraten könne, die Spekulationen zusätzlich angeheizt haben. Was die Kanzlerin und CDU-Chefin in diesen Tagen auch tut, sie macht dabei keine glückliche Figur. Erst recht nicht im parteiinternen Streit um ihre Führungsqualitäten und das politische Profil der CDU. Die von der CDU-Spitze am Freitag einstimmig verabschiedete »Berliner Erklärung« sollte deshalb auch so etwas wie ein Befreiungsschlag sein. Nach zweitägiger Klausur verordnete sich der Parteivorstand ein Strategie-Papier, das es allen recht machen will.
»Moderne bürgerliche Politik«, so heißt dort, speise sich »aus christlich-sozialem, liberalem und konservativem Denken«. Doch der Richtungsstreit zwischen Liberalen und Konservativen in der Partei ist noch lange nicht beigelegt. Die heftigsten Auseinandersetzungen könnten der CDU noch bevorstehen. Erklärtermaßen will die Partei nun verstärkt um enttäuschte Wähler von FDP, SPD und Grünen werben. Um diese Klientel zu gewinnen, müsste sich die CDU aber modernisieren. Doch diese Modernisierung wird der Partei einen ideologischen Spagat abverlangen, den die konservativen Wähler nicht mitmachen. Kanzlerin Merkel präsentierte sich am Freitag jedoch als Siegerin im Kampf um eine Modernisierung der CDU. Ihr Konzept einer »Volkspartei für jeden« habe die Unterstützung der CDU-Führung, so die Kanzlerin. Offenbar verwechselt sie das Stillhalten einiger CDU-Länderfürsten mit Zustimmung.
Vorerst scheut Merkel die harten Auseinandersetzungen. Ein Blick in die »Berliner Erklärung« reicht, um zu sehen, dass dem Strategie-Papier an Substanz fehlt. Auf elf Seiten finden sich hier die wohlbekannten Floskeln von der »Bewahrung der Schöpfung« und »nachhaltigem Wirtschaftswachstum«. Man will es weiter allen Flügeln recht machen.
Die CDU weiß nicht wohin, erst recht nicht in Sachen Steuerpolitik. Die schwammige Haltung der Union zu den im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Steuersenkungen nutzte die FDP in den letzten Wochen, um das eigene Profil zu schärfen. Immer wieder drängte der liberale Koalitionspartner auf baldige Steuererleichterungen in Höhe von 24 Milliarden Euro. Die »Berliner Erklärung« sollte deshalb auch ein Bekenntnis der CDU zu weiteren Steuersenkungen enthalten. Auf lange Sicht wolle man so die zur FDP gewechselten Wähler zurückgewinnen, betonten Unionspolitiker am Rande der Klausur in Berlin. Beide Parteien konkurrieren um dieselbe Wählerklientel. »Was die CDU verliert, gewinnt die FDP – und umgekehrt«, brachte der Parteienforscher Richard Stöss dieses Phänomen auf den Punkt.
Doch so einfach wollen die Liberalen diese Überläufer nicht wieder ziehen lassen. FDP-Generalsekretär Christian Lindner warnte die Union am Freitag vor »Profilierungssucht«. »Unsere Koalition darf nicht wie die Große Koalition in ein Nullsummenspiel geraten, bei dem Gesichtswahrung wichtiger als Problemlösung ist«, so Lindner. Doch eigentlich kann der Liberale ganz beruhigt sein, denn bei genauerem Hinsehen entpuppt sich diese »Profilierung« als Wählertäuschung. Zwar finden sich Forderungen nach baldigen Steuersenkungen in der Erklärung, doch steht die damit verbundene Steuerreform unter Vorbehalt. Ursprünglich wollte man dem Wähler das Blaue vom Steuer-Himmel versprechen, doch CDU-Ministerpräsident Peter Müller spielte da nicht mit. Der Landesvater aus dem notorisch klammen Saarland verlangte, die gesetzlich festgelegte Schuldengrenze müsse Vorrang haben. Steuerermäßigungen dürfe es nur geben, so Müller, wenn die Einhaltung der Schuldenbremse nicht infrage gestellt werde. Andernfalls werde er die »Berliner Erklärung« nicht unterschreiben. Und so fügte man flugs den Vorbehalt ein. Liberale Wähler gewinnt man so nicht zurück.
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