Der Duft der Götter

Weihrauch – einst kostbar wie Gold – wird als Heilmittel wiederentdeckt

  • Margit Mertens
  • Lesedauer: 4 Min.

Manche lieben den Geruch, andere bekommen von dem stark riechenden Nebel Kopfschmerzen: Weihrauch. Wir verbinden heute mit Weihrauch festliche katholische Messen und rauchende Kessel schwingende Messdiener. Doch schon bei Christi Geburt in jenem Stall bei Bethlehem war er dabei: Gold, Myrrhe und Weihrauch brachten die Heiligen Drei Könige dem Neugeborenen als Geschenk. Damals waren Myrrhe, ebenfalls ein Räucherwerk, und Weihrauch so wertvoll wie Gold. Weihrauch gilt vor allem in Arabien und Indien seit Tausenden von Jahren als Naturheilmittel gegen zahlreiche Krankheiten. Außerdem wurde er seit je bei kultischen Anlässen verbrannt. In die katholische Liturgie hielt er erst im 4. Jahrhundert nach Christus Einzug.

Weihrauch ist das Harz zehn verschiedener Arten von Weihrauchbäumen aus der Familie der Balsambaumgewächse. Diese kleinen Bäume oder Dornensträucher wachsen nur in den Wüstenrandgebieten von Ostafrika, der arabischen Halbinsel und Indien.

Seit rund 3000 Jahren wird Weihrauch in Arabien und Indien als Heilmittel eingesetzt. Meist wurde das Harz zerstoßen und zu Salben und Pulver weiterverarbeitet. Weihrauch, wissenschaftlich Boswellia, galt als Allheilmittel bei Wunden, Hautkrankheiten und Knochenbrüchen, bei Gelenk-, Atemwegs- und Darmentzündungen. Auch Hildegard von Bingen und Paracelsus empfahlen Weihrauch gegen eine Vielzahl von Krankheiten. Ende des 19. Jahrhunderts geriet er in Europa in Vergessenheit, bis ihn Ende der 1980er Jahre Pharmakologen wieder neu entdeckten.

Es war der Tübinger Pharmazeut Hermann Ammon, der das komplexe chemische Gemisch des Weihrauchs erstmals mit modernen Methoden analysierte und dort neben ätherische Ölen als medizinisch wirksame Substanzen Boswelliasäuren fand. Diese gehören zu den weit verbreiteten Triterpenen, kommen in dieser Form jedoch einzig im Weihrauchbaum vor.

In einer Vielzahl von Experimenten konnten Forscher mittlerweile zeigen, dass Boswelliasäuren außergewöhnlich gut gegen Entzündungen aller Art wirken. »Auf molekularer Ebene sind Entzündungen durch erhöhte Bildung und Freisetzung von Leukotrienen gekennzeichnet«, sagt der pharmazeutische Chemiker Oliver Werz von der Uni Tübingen. Bis vor kurzem glaubten die Forscher, Boswellia würde diese körpereigenen Stoffwechselprodukte, die für die Aufrechterhaltung der Entzündung verantwortlich sind, hemmen. »Das zeigt sich aber nur im Reagenzglas bei entsprechend hoher Dosierung. Wir haben dann mittels eines modernen Verfahrens, dem sogenannten Target-fishing, Boswelliasäure an eine Art Angel gehängt und geschaut, was daran bindet.« Werz konnte als Ziel des Weihrauchs Cathepsin G identifizieren. »Das ist ein Enzym, das von Entzündungszellen freigesetzt wird und Gewebe zerstört, zum Beispiel Knochenhaut, Gelenke, Haut oder Lungengewebe.« Alle Boswelliasäuren hemmen seine zerstörerische Aktivität und mildern so die Entzündungssymptome. In einer Studie mit Morbus-Crohn-Patienten zeigte sich, dass das Enzym um 60 Prozent reduziert wurde.

Die derzeitigen Möglichkeiten der Pharmakotherapie zum Beispiel durch Corticoide und Entzündungshemmer hält Werz nicht für zufriedenstellend, »was besonders am Auftreten von Nebenwirkungen liegt«. So sei Cortison akut ein hervorragender Entzündungshemmer, zeige aber bei der Langzeitanwendung beträchtliche Nebenwirkungen. In Studien mit Boswelliasäuren sind bisher keine nennenswerten Nebenwirkungen aufgetaucht. Einsatzbereiche sind alle chronisch-entzündlichen und allergischen Erkrankungen: Rheuma, Arthritis, Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, Hauterkrankungen wie Schuppenflechte und Neurodermitis, sowie Allergien und Asthma.

So konnte der Internist Henning Gerhardt in einer klinischen Studie an der Universitätsklinik Mannheim zeigen, dass Weihrauchpräparate bei den Darmentzündungen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sowie bei Asthma den herkömmlichen Medikamenten ebenbürtig sind, ohne deren oftmals schwere Nebenwirkungen auszulösen. Im Tiermodell konnte der Chemiker Johann Jauch von der Universität des Saarlandes zeigen, dass Weihrauch die Symptome bei Arthritis deutlich abschwächt. Außerdem hat er ein Verfahren entwickelt, das den Anteil der wirksamsten Boswelliasäure, nämlich die Acetyl-11-Keto-Beta-Säure, um das 30- bis 40-fache gegenüber dem natürlichen Gehalt steigert.

Dennoch ist bis heute kein Medikament auf Weihrauchbasis in Deutschland auf dem Markt. Eine Meta-Analyse aller Studien kommt zu dem Schluss, dass die Wirksamkeit der Boswelliasäuren »ermutigend, aber noch nicht zwingend bewiesen« ist. Die vorliegenden Studien seien zu klein, zu wenige oder entsprächen nicht den in Deutschland vorgeschriebenen Standards, meint Werz. Er selber versucht gemeinsam mit Jauch und dem Unternehmen AureliaSan den Weihrauchextrakt zu optimieren. Werz' interessantester Kandidat ist nicht der verbreitete B. serrata aus Indien, sondern B. papyrifera aus Afrika. Das Projekt wird vom Bundesforschungsministerium gefördert und soll einen Extrakt mit besonders hoher Wirksamkeit hervorbringen, der in Salben- oder Tablettenform verabreicht werden kann. »Für eine Salbe als einem kosmetischen Produkt brauchen wir keine langwierige Zulassung. Sie könnte bei allen Reizungen der Haut, der Wundheilung, Insektenstichen, Allergien aber auch Gelenkerkrankungen eingesetzt werden«, erklärt Werz.

Statt der als Nahrungsergänzungsmittel erhältlichen Weihrauchkapseln rät Werz dazu, sich lieber vom Arzt ein Rezept für das Mittel H 15 der indischen Firma Gufic ausstellen zu lassen, das die Apotheke bestellen kann. »H 15 hat in Indien den Status eines Arzneimittels, auch wenn es in Deutschland noch nicht zugelassen ist.«

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