Er wollte nur allein gelassen werden
Der Kultautor Jerome David Salinger ist tot – Weltruhm mit »Der Fänger im Roggen«
Wenn ihr das wirklich hören wollt, dann wollt ihr wahrscheinlich als Erstes wissen, wo ich geboren bin und wie meine miese Kindheit war und was meine Eltern getan haben und so ...« Wir wollten hören, was Holden Caulfield zu sagen hat, wirklich! Wir liebten seinen Sound, sein »fuck« und sein »goddam«. Denn der 16-jährige Held des Romans ist ein trauriger Rebell, getrieben von einer großen Sehnsucht – nach einer liebevolleren Welt. Nachdem er wegen mangelhafter Leistungen aus der Schule geflogen ist, fährt er nicht nach Hause, sondern ins vorweihnachtliche New York. Dort erlebt er Schmerzliches, den Weltschmerz der Pubertierenden, die uneins mit der Welt Erwachsenen sind. Das macht jeder durch, jede Generation. Ob in New York oder Berlin. 60 Millionen Mal wurde der Roman »Der Fänger im Roggen« seit seinem Erscheinen 1951 bis heute verkauft. Das Kultbuch, mit dem Jerome David Salinger weltberühmt wurde. Am Donnerstag ist der Autor im Alter von 91 Jahren in seinem Haus in Cornish im US-Staat New Hampshire friedlich und ohne Schmerzen gestorben.
»Der Fänger im Roggen« – »The Catcher in the Rye« – ist J. D. Salingers einziger Roman geblieben. Doch mit diesem einen Buch hat er sich in den Kanon der Weltliteratur katapultiert. Oft ist sein Holden Caulfield mit Goethes »Werther« verglichen worden – jemand, mit dem man sich identifiziert. Und der einem gefährlich werden kann: Der Attentäter Mark David Chapmann hatte seinen »Catcher« bei sich, als er 1980 John Lennon erschoss; auch der Mörder Charles Manson war Salinger-Fan.
J. D. Salinger wurde am Neujahrstag 1919 als Sohn eines New Yorker Juden und einer schottisch-irischen Katholikin, die konvertiert war, in Manhattan geboren. Um ihn auf die Mitarbeit in seiner Firma vorzubereiten, schickte der Vater ihn nach Wien, wo er das Fleischerhandwerk erlernte. Erste Texte veröffentlichte er als Kadett einer Militäranstalt in der Schülerzeitung, später, als Student, verfasste er Kurzgeschichten. 1942 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, er nahm an der Landung der Alliierten in der Normandie teil. In Paris bescheinigte ihm ein Kriegsberichterstatter »verdammtes Talent« – es war Ernest Hemingway. Dies mag erfreulich für ihn gewesen sein, doch die Kriegserlebnisse hatten ihn tief geprägt.
Neben dem »Fänger im Roggen« hat J. D. Salinger 35 Erzählungen veröffentlicht, die letzte, »Hapworth 16, 1924«, im Magazin »New Yorker«. Das war 1965. Danach schwieg er, eisern. Schon Mitte der 50 Jahre hatte er sich zurückgezogen, nach Cornish, in jenes Haus, in dem er nun starb. Es soll von Zäunen umgeben sein und nur durch einen rund zwanzig Meter langen, von Hunden bewachten Betontunnel zu erreichen. Was dennoch aus seinem Privatleben in die Öffentlichkeit drang, weiß man von seiner Tochter Margaret, die in ihren Memoiren »Der Traumfänger« das Bild eines durchaus liebevollen, aber auch selbstsüchtigen Vaters gezeichnet hat, dessen Arbeits- und Schlafzimmer sie »vielleicht zweimal in meinem Leben« betreten durfte. Weder durchbrach Salinger seine selbstgewählte Isolation, indem er zu Lesungen reiste, noch ließ er sich fotografieren. Interviews gab er nur selten. Das letzte gewährte er 1980 dem »Boston Sunday Globe«. Damals sagte er: »Ich liebe das Schreiben, und ich kann Ihnen versichern, dass ich immer noch schreibe. Aber ich schreibe allein, und ich möchte dabei absolut alleine gelassen werden.« Veröffentlichungen empfinde er als »schreckliche Invasion« in seine Privatsphäre. Sollte es also weitere Manuskripte von seiner Hand geben, werden sie – so denn eine Familie auch nach seinem Tod seinen Wunsch nach Abgeschiedenheit respektiert – kaum den Weg in die Öffentlichkeit finden. Einen Gottesdienst zu seiner Beisetzung, ließ die Familie mitteilen, werde es, diesem Wunsch entsprechend, nicht geben.
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