»Wir wollen ins Theater!«
Protest gegen Kulturabbau in Wuppertal – Gruß von Wim Wenders
Auf den ersten Blick sah die Menschenmenge aus wie ein Karnevalsumzug. Aber Wuppertal ist stockevangelisch. Trotzdem säumten Maskierte die vielbefahrene Bundesallee. Eine fantasievoll kostümierte Frau Mahlzahn aus der Kindergeschichte »Jim Knopf« verteilte Flugblätter. Oberschülerinnen waren als Vampire und Prinzessinnen verkleidet. Ein Rotarmist trug ein Plakat mit der Aufschrift »Theater macht reich!«
Vor dem Schauspielhaus hatten sich am Samstagnachmittag insgesamt etwa 2000 Demonstranten versammelt, um für den Erhalt ihres Theaters zu demonstrieren. Aus allen Teilen von Nordrhein-Westfalen waren zusätzlich Ensembles angereist, um ihre Solidarität mit den Wuppertaler Schauspielkollegen auszudrücken. Anfang Dezember vergangenen Jahres bereits hatte der Bürgermeister der Bergischen Metropole Peter Jung (CDU) eine Streichliste veröffentlicht, um den völlig defizitären Stadthaushalt in den Griff zu bekommen.
Neben der Schließung von Schwimmbädern und der Streichung von Zuschüssen an sozialen und kulturellen Einrichtungen steht seitdem das Sprechtheater von Wuppertal zur Disposition. zwei Millionen Euro weniger soll das Städtische Theater an kommunalen Zuschüssen jährlich bekommen. Das Gebäude soll entgegen bisheriger Planung nicht mehr renoviert werden. Stattdessen will die Stadt den unter Denkmalschutz stehenden Theaterbau aus dem Jahr 1966 schließen. Das Ensemble soll, so die bisherige Planung, aufgelöst werden.
Bereits am Freitag begann die Protestaktion mit einer 24-stündigen Vorstellung, die von dutzenden von Theatergruppen aufgeführt wurde. So war bereits vor der eigentlichen Kundgebung das Haus berstend voll. Als erste Rednerin brandmarkte dann am Samstagnachmittag Ines Colsman von dem Aktionsbündnis »Wuppertal wehrt sich« die Sparpläne der CDU-SPD-Mehrheit im Stadtrat. Man habe Tags zuvor bereits ein riesiges Transparent an das Rathaus angebracht, auf dem ein Geier abgebildet ist. »Dieser Pleitegeier hat Hunger auf Schulen, auf Schwimmbäder und auf unser Schauspielhaus«, erklärte Colsman.
Im Anschluss trat Mechthild Großmann ans Rednerpult. Die dem Wuppertaler Theater verbundene Tänzerin und Schauspielern, vielen bekannt in der Rolle der unbarmherzigen Staatsanwältin im »Tatort Münster«, erinnerte zunächst an die Eröffnung des Hauses vor 44 Jahren, die sie als junge Frau miterlebt hatte. Heinrich Böll habe damals seine vielbeachtete Rede »Die Freiheit der Kunst« gehalten. Zynisch kommentierte die Schauspielerin die Aussage des für die Einhaltung der Haushaltsgesetze zuständigen Düsseldorfer Regierungspräsidenten Jürgen Büssow (SPD), der die Stadt wegen ihres Mutes, das Schauspielhaus zu schließen, beglückwünscht hatte. »Früher entschuldigten sich Politiker, wenn sie kulturelle Einrichtungen schlossen. Inzwischen wollen sie sogar dafür gefeiert werden«, erklärte Großmann.
Holk Freytag, Präsident für die Intendantengruppe im Deutschen Bühnenverein, hob die bundesweite Bedeutung der Schließungspläne hervor. Wenn das Schauspielhaus Wuppertal schließe, könne dies Signalwirkung auf viele klamme Kommunen haben. Viel Beifall erhielt eine Schülervertreterin, die die Bedeutung des Theaters für junge Menschen hervorhob. »Die Stücke, die wir für unsere Abiturprüfung lesen müssen, werden hier mit Leben gefüllt.« Gerade in der vergangenen Spielzeit hätten sich vermehrt Schulklassen und auch Jugendgruppen für das Schauspiel interessiert. »Wir wollen nicht immer vor dem Computer hocken. Wir wollen ins Theater!«, rief die Gymnasiastin in die begeisterte Menge.
Viele Prominente haben sich inzwischen für den Erhalt des Schauspiels in Wuppertal ausgesprochen Wim Wenders schickte ein Grußwort. Die aus dem benachbarten Solingen stammende Veronica Ferres erklärte schon im Vorfeld, dass sie von den Schließungsplänen entsetzt sei. Was nach Schließung des Hauses aus dem architektonisch wertvollen Gebäude werden soll, ist bislang unklar. »Vielleicht ein Parkhaus«, scherzte ein Schauspieler während des Theatermarathons. Mechthild Großmann hatte eine andere Idee: »Sie werden hier einen Baumarkt einziehen lassen.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.