Schwimmen & Freiheit
Welcome
Wer einem Illegalen hilft, macht sich strafbar. Wer einen Illegalen beherbergt, und sei es nur für eine Nacht, macht sich strafbar. Wer einen illegalen Anhalter mitnimmt, macht sich strafbar. Wer einem Illegalen eine Decke oder eine Mahlzeit reicht oder ihm den Akku seines Handys auflädt, seine einzige Verbindung in die alte und vielleicht auch schon die neue Heimat, macht sich strafbar. Die Festung Europa beschützt ihre Grenzen, und wenn einer es doch einmal hinein schafft, wird er eben innerhalb ihrer Mauern ausgegrenzt. Mit Menschenrechten hat das nichts tun, trotzdem ist es geltendes Recht. In Frankreich.
In Frankreich, in der Region Pas-de-Calais, spielt »Welcome«. Ein Wort, das immer gern genommen wird, wenn es auf Fußabtretern steht und vor der Wohnungstür in Richtung des Besuchers zeigt. Im Kontext dieses Films ist es der pure Hohn. Welcome, willkommen, ist hier nun wirklich niemand, der von außen kommt. Wenn er arm ist, dunkelhäutig oder Muslim, dann schon gar nicht. Außer natürlich, er schuftete zu Löhnen, die auch wieder der pure Hohn sind, unter Arbeitsumständen, die keiner Überprüfung standhielten, ließe sich in Städten möglichst wenig sehen und stellte keinerlei, aber auch wirklich keinerlei, Ansprüche an die Qualität seiner Behausung. Eine Plane, eine Bauruine, ein Abrisshaus oder ungenutztes Fabrikgebäude müsste doch reichen. Und weil es warm ist in den Gegenden, in denen man billige Landarbeiter braucht, damit die Tomaten nicht zu teuer werden, in Italien, in Spanien, warum nicht gleich unter freiem Himmel schlafen?
Aber zurück nach Calais. Das Auffanglager von Sangatte ist geschlossen, in dem Migranten unterkamen, die es quer durch Europa geschafft hatten, nur um am Ärmelkanal zu scheitern. Die Illegalen kommen trotzdem, nur leben sie jetzt auf der Straße. Wer ihnen hilft, macht sich strafbar. Philippe Lioret, der für seinen vielfach preisgekrönten Film mit dem zynischen Willkommensgruß im Titel in und um Calais auf Recherche ging, lässt seine Wut über die allgemeine Indifferenz gegenüber der Misere an einem Bademeister aus. Der heißt Simon, hat eigentlich nur die Frau im Kopf, die sich gerade von ihm getrennt hat, und macht ansonsten seine Arbeit. Ein Kleinbürger mit komfortabler Wohnung, einer, der die Migranten bisher nicht einmal zur Kenntnis nahm. Bis Bilal bei ihm Schwimmstunden nimmt, der als Kurde aus dem Irak geflüchtet ist und ganz dringend verhindern muss, dass seine Freundin in London von ihrem Vater zwangsverheiratet wird.
Dem Bademeister hat Lioret die zerknautschten Züge von Vincent Lindon gegeben, dem jungen Englandreisenden die frische Hoffnung im Gesicht des Neulings Firat Ayverdi. Und seinen Schwimmlehrer, als der endlich zu sich findet und in Bilal den Menschen sieht, nicht den Sozialfall, mit einem Menschen verglichen, der 1943 einen Juden vor der Deportation versteckte. Was den französischen Einwanderungsminister natürlich schwer empörte. Das bestehende Recht wird trotzdem – vielleicht – geändert werden. Auf Antrag der Linken.
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