Kobold unterm Lampenschirm
Notwendiges Wiedersehen: Grafik von Lea und Hans Grundig in Berlin
Das Ehepaar Lea und Hans Grundig wäre auch dann eines ehrenden Gedenkens würdig, wenn sie nicht beide hervorragende bildende Künstler gewesen wären. Als Kommunisten widerstanden sie unbeugsam dem Nazismus. Hans überlebte krank eine jahrelange KZ-Haft und konnte aus dem Strafbataillon zur Roten Armee überlaufen. Lea konnte nach der Haft durch eine jüdische Organisation freigekauft werden und 1940 nach dem britischen Mandatsgebiet Palästina entkommen. Beide setzten ihre Kräfte für den Neuaufbau in Ostdeutschland ein. Es ist höchst verachtenswert, dass jetzt versucht wird, den Namen der Hans-und-Lea-Grundig-Stiftung zu tilgen, mit der sich Lea Grundig 1972 bei der Universität Greifswald für die Ehrendoktorwürde bedankte. Bis 1996 wurden aus dieser Stiftung künstlerische und kunsterzieherische Nachwuchsleistungen prämiert. Anschuldigungen gegen die Präsidentin des Verbandes Bildender Künstler der DDR, die Lea von 1964 bis 1970 war, sind Teil der widerwärtigen Strategie, keine positiven Erinnerungen an die DDR zu dulden. Als ein Protest dagegen verstehen sich zwei kleine Ausstellungen, die heute eröffnet werden.
In der Galerie der Gesellschaft für Bürgerrecht und Menschenwürde führt die wortmächtige Malerin Heidrun Hegewald in eine Auswahl von Kaltnadelradierungen beider Künstler aus den dreißiger Jahren ein. In der Ladengalerie der Zeitung »junge Welt« spricht anschließend die Ärztin Maria Heider, Gefährtin der letzten Lebensjahre von Lea Grundig, zu einer Rekonstruktion der Zeichnungsfolge »Im Tal des Todes«, die Lea 1943-44 in Palästina schuf, und deren Veröffentlichung als Buch damals sogleich von Oskar Kokoschka in London gelobt wurde.
Hans Grundig und Lea Langer lernten sich beim Studium in Dresden kennen, traten gemeinsam in die KPD ein, heirateten und waren 1929 an der Gründung der Dresdner Gruppe der Assoziation Revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands beteiligt. Beide wollten mit ihrer Kunst gegen soziale Not und die wachsende Gefahr nazistischer Gewaltherrschaft kämpfen und setzten das nach 1933 im Untergrund fort, aus dem einiges heimlich ins Ausland gelangte. Lea hatte schnell eingesehen, dass sie als Malerin Hans nicht ebenbürtig war, aber zeichnend und druckgrafisch mit ihm wetteifern konnte. Peter Michel als Kurator vergleicht in der Ausstellung der GBM erstmals in 17 instruktiven Werkpaaren, wie die beiden gleiche Themen behandelten und ähnliche Motive verwandten. Die Kunstforschung widmet neuerdings dem Schaffen von Künstler-Ehepaaren gesteigerte Aufmerksamkeit.
Hans arbeitete mit fantastischen und grotesken Erfindungen und Tierallegorien für menschliches Verhalten. Lea stützte sich konsequent auf genaue Beobachtung von Menschen, ließ sich aber gelegentlich durch die heftige Bewegung von Figuren im Bild und surreale Kompositionen, die für Hans kennzeichnend waren, anregen. Beide Verfahren sind gleichwertige wirkungsmächtige Appelle an unser Urteil über die Realität. Nur nach ihrer eigenen Subjektivität können sich Betrachter entscheiden, welche Lösung einer Aufgabe, die sich beide Künstler stellten, ihnen mehr zusagt. Besonders packend ist der Vergleich von Leas »Gestapo im Haus« und Hans »Die Gestapo war da« (1935). Bei Lea angstvolle Gestalten von Nachbarn hinter wankenden Türen. Bei Hans das menschenleer gewordene Zimmer, auf dessen Fußboden das Fensterkreuz den Schatten eines Grabkreuzes wirft. Und dann entdeckt man den kleinen Kobold unterm Lampenschirm, der über die Häscher spottet, die niemanden fassen konnten.
Kunstwerke auf Papier können immer nur für einige Zeit dem Tageslicht ausgesetzt werden und dazu die Schränke der Grafiksammlungen verlassen. Für Arbeiten der Grundigs geschieht das viel zu selten. Den heute maßgebenden Institutionen gelten sie offenbar als uninteressant. Die Berliner Akademie der Künste besitzt knapp 3000 von ihnen. Umso wichtiger ist das Engagement der GBM. Die Galerie der »jungen Welt« macht Verschwundenes sichtbar. Carola Müller, Dresden, fertigte mittels modernster Technik Rekonstruktionen von 15, dann 17 Pinselzeichnungen Lea Grundigs an, die 1944 als ein Buch mit dem Titel »Im Tal des Todes« in Tel Aviv und 1947 mit deutscher Einleitung in Dresden veröffentlicht wurden. Sie sind kein inhaltlich konzipierter Zyklus im strengen Sinne, sondern umkreisen gleichsam in stilistisch unterschiedlichen dunklen Szenen das Feld der erst bruchstückhaft bekannt werden Beispiele für Nazibarbarei, Verzweiflung und Widerstand, deren kaum fassbares Ausmaß erst 1945 nach der Befreiung von Auschwitz, Sobibór, Buchenwald, Ravensbrück usw. zu Tage trat. Im Schlussblatt »Ewige Schande« prophezeite Lea in erschreckender Fantastik, dass Hitler über Leichenbergen seiner Opfer am Schandpfahl hängen werde, einem umgedrehten Siegesmal. Lea konnte damals und später einige Blätter verkaufen, von einem weiß man, dass es bei einem Brand zerstört wurde. So kann die Folge im Original nie mehr ausgestellt werden. Die Reproduktionen können jetzt bei der Fraktion der Linken im Sächsischen Landtag zur Ausstellung entliehen werden.
Kunstwerke konnten niemals den Gang der Geschichte bestimmen, aber sie haben ihn durch Bewusstmachung unterstützt und treten nachher dem Vergessen und Verfälschen entgegen. Darum muss man sie immer wieder sehen können.
»Hans und Lea Grundig: Eine kongeniale Künstler-, Kampf- und
Lebensgemeinschaft. Kaltnadelradierungen aus den Dreißigerjahren«, Berlin-Lichtenberg, GBM-Galerie, Weitlingstr. 89, bis 9. 4.
»Lea Grundig: Im Tal des Todes«, Ladengalerie der »jungen Welt«, Berlin-Mitte, Torstr. 6.
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