Zu wenig Geld für Schwester Agnes
In Brandenburg könnten Hausbesuche bei Patienten bald wieder der Vergangenheit angehören
Sie messen den Blutdruck oder wechseln Verbände. Sie müssen oft weit fahren, um die vorwiegend älteren Patienten in abgelegenen Dörfern zu erreichen. Mit ihren Hausbesuchen helfen die Gemeindeschwestern in Brandenburg den überlasteten Landärzten. Die nichtärztlichen Praxisassistentinnen – so heißen sie amtlich – erledigen eine ganz wichtige Arbeit. Aber sie bekommen dafür zu wenig Geld. Und darum droht das in der Sache erfolgreiche Projekt an den Finanzen zu scheitern.
Für einen Erstbesuch gibt es nämlich nur eine Vergütung von 17 Euro, für jede Nachfolgebehandlung 12,50 Euro. Fahrkosten dürfen nicht gesondert abgerechnet werden, und das bei den zeitraubenden Anfahrten bei Wind und Wetter – und derzeit bei Eis und Schnee.
19 Frauen begannen
Gemeindeschwestern gab es in der DDR flächendeckend. 1975 gab die Schauspielerin Agnes Kraus dieser Berufsgruppe in einer ihrer Paraderollen ein Gesicht. Sie verkörperte in einem gleichnamigen Fernsehfilm die engagierte »Schwester Agnes«, die mit einem Moped der Marke »Schwalbe« zu ihren Patienten saust und sich nebenbei noch um andere Probleme im Dorf kümmert.
Mit der Wende verschwanden die Gemeindeschwestern von der Bildfläche. Sie passten nicht ins bundesdeutsche Gesundheitswesen. Das in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg betriebene Modellprojekt zur Wiedereinführung erhielt vor einigen Jahren den Namen Agnes. Alles ließ sich zunächst gut an. Damals gab es für einen Hausbesuch auch noch 21 Euro. 19 Frauen begannen in Brandenburg eine Ausbildung. Es sollte künftig noch mehr Gemeindeschwestern geben – nicht nur hier, sondern bundesweit. Doch die ersten sind inzwischen abgesprungen.
»Agnes soll gutes Geld für gute Arbeit bekommen«, findet die Landtagsabgeordnete Sylvia Lehmann (SPD). Die Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung sollten die Vergütung der Realität anpassen. Die Wirklichkeit, das seien weite Wege. Lehmann verlangt, dass die Fahrkosten gesondert kalkuliert werden. Die Abgeordnete lud Kassen und Kassenärztliche Vereinigung ein, sich bei einer Reise nach Lübbe-nau ein Bild von der »notwendigen und anspruchsvollen« Arbeit der Schwestern zu machen, die dort schon seit drei Jahren geleistet werde.
Die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg (KVBB) nennt diese »süffisant« ausgesprochene Einladung eine »Unverschämtheit«. Hier werde der Eindruck erweckt, die Kassenärztliche Vereinigung sei ahnungslos. Dabei habe man die Finanzierung von Anfang an »scharf kritisiert«. Die von den Krankenkassen mit aller Macht durchgedrückten Dumpingpreise seien in der Tat inakzeptabel und kein Anreiz für die Ärzte, Gemeindeschwestern zu beschäftigen, bestätigt der KVBB-Vorsitzende Dr. Hans-Joachim Helmig. Die Vergütung sei bereits im März 2009 auf Bundesebene beschlossen worden. Seinerzeit habe es aus dem damals von Dagmar Ziegler (SPD) geführten Potsdamer Gesundheitsministerium keine Unterstützung für die Position der Kassenärztlichen Vereinigung gegeben. »Wir sind der falsche Adressat«, weist Helmig die Kritik zurück.
Gemeindeschwestern lösen nicht das Problem des Ärztemangels in dünn besiedelten Regionen, sagt die grüne Landtagsabgeordnete Ursula Nonnemacher, die selbst von Beruf Medizinerin ist. Sie helfen jedoch in solchen Fällen, wo kein Arzt für eine akute Sofortbehandlung zur Stelle sein müsse. Nonnemacher fordert die Landesregierung auf, sich für eine hinreichende Vergütung stark zu machen.
Ministerium bedauert
Das habe man beim Bund bereits mehrfach getan und werde es weiterhin tun, versichert Gesundheitsministeriumssprecherin Alrun Nüßlein. Gesundheitsministerin Anita Tack (LINKE) möchte sich heute zum weiteren Vorgehen äußern. Leider hatte und hat das Land keinen Einfluss auf die Vergütung, bedauert Nüßlein.
Eine auskömmliche ambulante Versorgung überall in Brandenburg gehört zu den erklärten Zielen der rot-roten Koalition. Es sollen mehr Ärzte, aber auch mehr Gemeindeschwestern gewonnen werden, geht aus dem Koalitionsvertrag hervor.
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