Viele Türen und kein Weg nach draußen
Schillers Trauerspiel »Kabale und Liebe« im Deutschen Theater Berlin
Der Weg nach draußen – gibt es ihn überhaupt, und wo führt er hin? Stephan Kimmig sperrt in seiner Inszenierung von Schillers »Kabale und Liebe« am Deutschen Theater Berlin acht Menschen in ein Gehäuse, das für sie Welt bedeutet und zugleich Denkraum ist. Wie sich einrichten im hölzernen Kasten mit seinen senkrecht und waagerecht montierten Türen, den Steigeisen und Klappen in die Unterwelt?
In der Geschichte einer unbedingten Liebe zwischen Ferdinand und Luise, den nicht Gleichrangigen, geht es nun nicht mehr um Adel und Bürgertum, absolutistische Tyrannei und biedere Wohlanständigkeit. Sondern um Möglichkeiten, sein Leben, seinen Daseinsentwurf zu behaupten. Die Elite um den Präsidenten und tonangebenden Politiker von Walter hat sich eingerichtet in den machtspendenden und macherhaltenden Mechanismen grausamer Menschenverachtung. Die Braven, Arbeitsamen wie der Musikant Miller verteidigen hilflos ihre bescheidene, schlimme Wirklichkeit gegenüber abgewandtem Dasein.
Kimmig zitiert Verhaltensmuster, die sehr bekannt, sehr heutig sind, Zeugnis geben von möglichem Handeln in einer schlimm entgleisten, aller Würde und Harmonie entkleideten Gesellschaft. Standeskonflikte entdeckt die Inszenierung in den unterschiedlichen Möglichkeiten zur Gestaltung des privaten und öffentlichen Daseins. Aber – der Türen- und Kletterkasten (Bühne Katja Haß) sperrt die Oberen und die Unteren in gleicher Weise ein. Die Versuche des Ausbruchs scheitern, das Steigen, Springen und Fallen, das Lauern vor und hinter Öffnungen gibt Protest und Wut und Gier ein Ventil – und ändert nichts. Den richtigen Lebensentwurf gibt es nicht. Aber das Spielgerüst kann auch, stürmisch im Kreis gewirbelt wie ein Karussell, berauschendes Glück der Liebe anzeigen. Und als raffiniertes diplomatisches Kalkül diese Liebe zerstört hat, bricht der Kasten auf, verliert seine Festigkeit, die Wände flattern herum, für einen Moment ist Chaos da, von dumpfen Rhythmen durchpulst. Auf diese nahezu ständige Bewegung setzt der Regisseur. Das eisenbewehrte »Gefängnis« bietet keinen Schutz, schafft keine Ruhe.
Schillers Figuren, die hier eingewiesen sind, wirken fremd und nah zugleich. Sie kommen wie aus dem besseren Büro oder aus sauberer Stube, die Bestimmenden sind dunkel und gemäßigt elitär, die ihnen Unterworfenen bescheiden und in hellere Farben gekleidet (Kostüme Andrea Schraad). Es gibt kein Gepränge, und es gibt keine Armut, nicht ein einziges Möbelstück verliert sich auf die Bühne. Was geschieht, ist von allem Ablenkenden befreit, nicht nur auf Dienstboten aller Art, auch auf Mutter Miller ist Verzicht geleistet.
Ulrich Matthes als Präsident von Walter gibt den Ton vor, auf den der Regisseur die Aufführung stimmt. Er zeigt einen kühlen, beherrschten Manager, der sich sicher und gewandt bewegt, aufmerksam und mit nur gelegentlich hervorblitzender Ironie beobachtet. Das ist ein Versucher, ein Macher und Former von Menschen, der Erfolg genießt, für selbstverständlich hält. Aber Matthes verlässt sich nicht auf das Geschmeidige des unangreifbaren Machtmenschen, auch fassungslose Trauer vermag er zu zeigen, und am Ende einen Zusammenbruch an der Grenze zum wiedererwachten Menschsein.
Der Helfer, der Zuarbeiter Wurm hat bei Alexander Khuon fast schon maskenhafte Steifheit, eine dressierte Zurückhaltung, die das Böse in unangreifbare Form zwingt. Matthias Neukirch fasst den Stadtmusikanten Miller als einen in seiner Welt verharrenden braven Bürger von gutem Durchschnitt auf, der sich auch mal todängstlich Widerstand leistet.
Zwischen den Vätern, dem schneidend Kaltherzigen und dem gefühlig Biederen, stehen Ferdinand und Luise. Ole Lagerpusch und Claudia Eisinger machen zum Ereignis, wie zwei junge Menschen ihr Dasein herausreißen wollen aus dem Vorbestimmten, ihnen Zugeteilten. Ihr Liebesanspruch ist heftig, geht bis zu körperlicher Entblößung und erotischer Gewalt. Ungestüm und Verzweiflung toben sich aus, Zärtlichkeit muss mühsam errungen werden, triumphiert erst im Angesicht des Todes. Das Stürmische, Rücksichtslose des Ferdinand von Lagerpusch steht in einem stets gespannten Verhältnis zu der ruhigen, gefassten Luise der Claudia Eisinger. Es ist berührend, wie es der Schauspielerin gelingt, die Kraft und stille Tapferkeit dieses Mädchens von plebejischer Verklemmtheit nicht vollends zu lösen.
Rücksichtslos spitzt der Regisseur Widersprüche zu, die in den Figuren und den ihnen bestimmten Lebensräumen stecken. Bei der Lady Milford der Lisa Hagmeister treffen gediegene Etikette und geradezu raubtierhafte Gier nach Liebe aufeinander, aber auch dieser Versuch, aus der Konvention ins Freie zu kommen, misslingt. Kein Mitleid mit den Scheiternden. Oder doch, weil dem Präsidenten die Wehklage zugestanden wird und eine letzte flüchtige, verzeihende Berührung durch den in Mord und Selbstmord getriebenen Sohn? In der Bühnenbearbeitung der Druckfassung von 1784 verzichtete Schiller selbst auf diese Versöhnung. In Kimmigs Inszenierung, die manche Längen hat und das Herumturnen mehr und mehr zum Selbstzweck macht, kommt sie unerwartet.
Weitere Aufführungen am 11. und 23. Mai.
Informationen und Karten: www.deutschestheater.de
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