Harte Zeiten, harte Hand
Streichrekord der Arbeitsagentur im Nordosten
Als Auftrag »für mehr Menschenwürde« begrüßte die Schweriner Sozialministerin Manuela Schwesig das Karlsruher Urteil über die Regelsätze des ALG II. Ihre Kritik an den Pauschal-Sätzen für Kinder und Jugendliche sei bestätigt. CDU-Mann Harry Glawe dagegen interpretierte den Richterspruch eher als Plädoyer für ein Weitermachen: Es gehe nur um eine transparentere Darstellung.
Oppositionsführer Helmut Holter (LINKE) dagegen sprach mit Genugtuung über die »schallende Ohrfeige« der Verfassungshüter für das System »Hartz« und dessen Urheber. Während sich FDP-Sozial-Sprecher Ralf Grabow darüber freute, dass Karlsruhe nunmehr dem Mythos von der »Armut per Gesetz« ein Ende gesetzt habe. Er liest aus dem Urteil zudem auch eine Bestätigung der Regelsatzhöhe heraus.
20 000 Mal Sanktionen
Sechzig Seiten hat das Urteil, das die »Reform« als verfassungswidrig einstuft. Was das heißt, bleibt Gegenstand der Auseinandersetzung. Für die Betroffenen – in Mecklenburg-Vorpommern sind es aktuell 77 000 Einzelempfänger beziehungsweise Bedarfsgemeinschaften mit insgesamt über 60 000 Kindern – wird es dauern, bis Auswirkungen spürbar sind. Konkreter sind da die Vergabepraktiken – und hier zeigt die Agentur für Arbeit eine harte Hand. Laut »Ostseezeitung« wurden im Nordosten bis September 2009 gut 20 000 Sanktionen verhängt und dabei 2,6 Millionen Euro zurückgefordert, 12 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl der Sanktionen ist konstant, während die Zahl der Bezieher zuletzt spürbar abnahm. Die durchschnittliche Kürzung betrug 133 Euro, ein gutes Drittel des Regelsatzes.
In mehr als der Hälfte der »Fälle« geht es um Terminversäumnisse – im Amt, bei einem Kurs, unter Umständen sogar beim Arzt. Zurückgewiesene Arbeitsangebote spielen kaum eine Rolle. Die Strafen beginnen bei zehn Prozent, Grenzen gibt es nicht. Hartz IV kann, anders als das Arbeitslosengeld I, komplett gestrichen werden. Dann gibt es Bezugsscheine.
Verschleierte Einsparung
Drakonisch fallen die Strafen bei »Kunden« unter 25 Jahren aus: Schon beim ersten Verstoß, Meldeversäumnisse ausgenommen, ist die Vollstreichung für drei Monate vorgesehen. Sozialverbände vermuten dahinter oft Einsparungen durch die Hintertür. Sie verweisen darauf, dass 2008 bundesweit 41 Prozent der Widersprüche und 65 Prozent der Klagen ganz oder teilweise erfolgreich waren.
Möglich macht diese Sanktionen der Paragraf 31 des SGB II, den Arbeitslosenverbände erbittert bekämpfen. Bestraft wird demnach, wer »eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit (...) oder Maßnahme« abbricht oder nicht besucht. Nun soll der Paragraf sogar noch verschärft werden. Nach einem Entwurf aus dem Arbeitsministerium will man das sanktionierbare Verhalten auf den Tatbestand der »Behinderung« der »Anbahnung« einer Maßnahme ausweiten (ND berichtete).
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