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Zerlina hat den Hut auf

Mozarts »Don Giovanni« in Bremen

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
Endlich Ruhe
Endlich Ruhe

So sexy wie jetzt in Bremen kommen die Opfer Don Giovannis nicht oft auf die Opernbühne. Aber was heißt Opfer? Im Grunde machen sich Donna Anna und Zerlina ziemlich offensiv an diesen mit Ringen bestückten Macho im weißen Anzug (Juan Orozco) heran. Donna Elvira (Nadja Stefanoff) sowieso. Die sucht, wenn sie mit hochgeschlagenem Kragen, Sonnenbrille und Reisetasche via Parkett anreist, erst mal im Zuschauerraum nach diesem Typen, mit dem sie noch eine Lebensrechnung offen hat.

Don Giovannis Diener bzw. Kumpan Leporello hat alles in seinem iPhone gespeichert, was sein Chef (so übersetzten die Übertitel das Verhältnis) so getrieben hat. Die Bildershow, die George Stevens während seiner exzellent gesungenen Register-Arie auf eine Garagenwand zaubert, formt Frauenporträts zu Landkarten: hundert in Frankreich, in Spanien tausendunddrei. Elvira inklusive. Wirklich verletzt und getroffen freilich ist Donna Elvira erst, als sich Leporello als Giovanni ausgibt. Die Leidenschaft für Giovanni ist ihre persönliche Obsession, zu der sie sich bekennt. Die Maskerade aber, der sie ausgeliefert wird und der sie auf den Leim geht, ist in ihren Augen Missbrauch.

Den versuchen auch Donna Anna und Zerlina dem Verführer anzuhängen. Denn hier beginnt alles in Christian Wiehles etwas trister Bar des Ein-Stern-Hotels »DG Star« mit einem einvernehmlichen Quicky, zu dem sich Giovanni und Anna aufs Zimmer zurückziehen. Als das irgendwie nicht so läuft und Giovanni sich verziehen will, kommt ausgerechnet Annas alter Herr im Bademantel in die Quere. Im Handgemenge bekommt der nicht nur einen Herzanfall, sondern offenbar auch einen blutigen Treffer von Giovannis Spazierstock, so dass er am Ende wie tot liegen bleibt. Von da an spielt Donna Anna (Sara Hershkowtitz) ziemlich offensichtlich und konsequent allen und sich selbst die Rolle der trauernden Tochter vor. Eine, die freilich auch in Schwarz vor allem viel Bein zeigt.

Zerlina ist gleich ohne jede Hemmung in ihren knallengen Glitzer-Jeans und einem locker sitzenden Top. Dass diese Braut für den gutmütig trottligen Masetto (Alberto Albarrán) und seine Hollywoodschaukel neben dem Würstchengrill ein paar Nummern zu scharf und lebenshungrig ist, macht Nadine Lehner von Anfang an klar. Dem Jungen steht zwar ein aufregendes Liebesleben bevor, er kann einem aber schon am Tag seiner Hochzeit leidtun.

In der Zeit, in die Andrea Moses ihren »Don Giovanni« projiziert hat, ist die Faszination des männlichen Verführers nur noch ein Klischee seiner selbst. Mühsam aufrechterhalten von einem Pelzhändler mit Playboy-Attitüde, bei dem das Fest eine Verkaufsshow für seine Pelze ist, die vom Catering ausgestattet wird. Das wirkliche »Viva la Liberta« singt hier längst die körperliche Ausstrahlung einer bis ins gänzlich Skrupellose emanzipierten Zerlina. Sie hat am Ende Don Giovannis Hut auf.

Diese Perspektivenverschiebung ist bei Andrea Moses eine lustvolle Komödie, in der die faszinierend präzise Personenführung stets durch die Musik beglaubigt wird. Manchmal bis in den Klamauk hinein übersteigert, meistens aber hintergründig. Da können sich weder Liebespathos noch Todesnähe ungebrochen entfalten. Weil in dieser Welt die gute alte, Missetaten rächende Hölle keinen Platz hat, muss die Bühnengeschichte ihren eigenen Schluss produzieren. Also muss der Komtur wieder auftauchen, Don Giovanni direkt attackieren und ihm eine Pistole auf den Tisch legen. Was den natürlich nicht beeindruckt. Eher schon, dass es dann Leporello ist, der (in vorauseilendem, opportunistischem Affekt) auf seinen »Chef« schießt.

Als dem Verletzten dann eine Truppe von Biedermännern mit Baseballschlägern den Garaus machen will, greift Giovanni doch zur Pistole, erschießt sich. Worauf sich seine drei Verehrerinnen an der schönen Leiche zu schaffen machen. Erst mit Wiederbelebungsversuchen, dann mit Streit um ein Andenken. Im letzten Lichtspot grinst uns dieser Don Giovanni noch mal an. Vielleicht ist da ein »endlich Ruhe« oder ein »Mal sehen, was jetzt kommt« im Blick.

Komödiantischer Schlusspunkt hinter einen Abend, der vom Bühnencharisma eines äußerst spielfreudigen Ensembles profitierte. Die Sänger glänzten auf hohem stimmlichem Niveau, allen voran Nadine Lehner und Nadja Stefanoff. Markus Poschner und die Bremer Philharmoniker verliehen dem Abend nicht nur dramatischen Drive, sondern zusätzlich Reiz durch einige von nachgebauten historischen Instrumenten beigesteuerte, sinnlich raue Klangfarben.

Fazit: Andrea Moses hat dem vorzeitig aus dem Amt scheidenden Intendanten Hans-Joachim Frey nach ihrer »Zaide/Adama«- Inszenierung zum zweiten Mal einen veritablen Erfolg verschafft.

Nächste Vorstellungen: heute, am 14. und 17. Februar

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