100 Tage Jamaika in Saarbrücken
Zwischen den Koalitionären menschelt es heftig, aber jetzt geht die Schonfrist zu Ende
Gestartet war die Koalition mit dem Anspruch, ein »Projekt« zu schmieden für ein »breites gesellschaftliches Bündnis zur ökonomischen, ökologischen und sozialen Erneuerung des Saarlandes«, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Kurz vor Ende der allgemein eingeräumten Schonfrist sieht sie sich aber bereits zwei Untersuchungsausschüssen gegenüber. Und die erste große Bewährungsprobe steht noch bevor, wenn der erste »Jamaika«-Haushalt im Frühjahr verabschiedet werden soll.
Die Chefs der »Jamaikaner«, Ministerpräsident Peter Müller (CDU), Wirtschaftsminister Christoph Hartmann (FDP) und die beiden Grünen-Vorsitzenden Hubert Ulrich und Claudia Willger-Lambert werden nicht müde zu betonen, das »Projekt« sei besser angelaufen, als sie es selbst erwartet hätten. »Handlungsfähig, geschlossen, stabil«, und das alles in einem »zwischenmenschlich vertrauensvollen Klima«, lautete ihre übereinstimmende Beschreibung bei einer Bilanz in der Saarbrücker Staatskanzlei am Dienstag. Vor jeder Plenarsitzung des Landtags gebe es eine gemeinsame Fraktionssitzung, ein »Alleinstellungsmerkmal«, so der Regierungschef.
Als Erfolge der ersten 100 Tage nennen die Koalitionspartner die Abschaffung der Studiengebühren, das schärfste Nichtraucherschutzgesetz aller Länder, die Gebührenfreiheit für die Ganztagsbetreuung und die Einigung über die Eckdaten des Haushalts. Dass hier die Handschrift der gerade mal drei Abgeordneten der Grünen im Landtag erkennbar wird, stört die beiden anderen Partner offenbar nicht. »Es gibt kein gelbes Projekt, es gibt kein grünes Projekt, es gibt kein schwarzes Projekt, sondern es gibt ein gemeinsames Projekt«, betont Regierungschef Müller. »Es ist im Grunde eine Geschmacksfrage, in welcher Reihenfolge wir den Koalitionsvertrag abarbeiten«, ergänzt FDP-Chef Hartmann.
Für SPD-Chef Heiko Maas ist die neue Landesregierung ein »Jamaika-Chaos-Club«. Gewinner seien nicht die Bürger, sondern Peter Müller, der sein Amt habe behalten dürfen, obwohl er abgewählt wurde, sowie FDP und Grüne, weil sie Regierungspartei spielen dürften, ohne es »im Ansatz zu können«.
Ein Novum dürfte sein, dass sich eine Landesregierung gleich zum Start mit zwei Untersuchungsausschüssen konfrontiert sieht. In einem Fall geht es um die Finanzierung des »Gondwana«-Freizeitparks, die die einstige CDU-Alleinregierung zu verantworten hat und die vom Landesrechnungshof heftig gerügt wurde. Im zweiten – von der LINKEN mit Unterstützung der SPD beantragten – Ausschuss steht »Jamaika« selbst im Fokus. Es geht um die Rolle des Unternehmers und FDP-Politikers Hartmut Ostermann. Der war nicht nur an Koalitionsgesprächen beteiligt, er sitzt zudem am Tisch des schwarz-gelb-grünen Koalitionsausschusses. Während der Koalitionsverhandlungen wurden fünf Steuerverfahren gegen den Unternehmer eingestellt. Grünen-Chef Hubert Ulrich war bis Oktober 2009 bei der IT-Firma »think&solve« beschäftigt, an der Ostermann beteiligt ist. Die Generalsekretäre der Jamaika-Parteien demonstrierten in einer gemeinsamen Erklärung Gleichmut: SPD und LINKE gehe es nur um eine »Skandalisierung«, um von der eigene Inhaltsleere abzulenken«.
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