Krach zwischen Warschau und Minsk

Polen sieht seine Landsleute im Nachbarstaat diskriminiert

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit Anfang dieser Woche verstärken sich die Spannungen zwischen Polen und Belarus. Ohne Ausnahme donnert es in polnischen Medien: Das Regime Lukaschenkos geht gegen die polnische Minderheit in Belarus vor.

Die Zeitung »Gazeta Wyborcza« veröffentlichte am Dienstag einen Aufmacher mit Balkenschrift: »Lukaschenko verfolgt Polen«. Die sonst immer eine andere Meinung präsentierende »Rzeczpospolita« am selben Tag: »Belarus schlägt die Polen«.

Was ist geschehen? Am Montag hatte die Polizei in Belarus erneut Mitglieder einer polnischen Organisation festgenommen. In der vergangenen Woche hatte der polnische Regierungschef Donald Tusk die »Unterdrückung der Polen« im Nachbarland als »skandalös« bezeichnet. Anfang Januar rief Warschau seinen Botschafter aus Minsk zu Konsultationen zurück, nachdem die Polizei in ein Gebäude des Polnischen Bundes eingerückt war.

Drei Tage vor den jüngsten Ereignissen hatte es in der polnischen Hauptstadt ein Treffen zwischen Polens Außenminister Radoslaw Sikorski und dessen Amtskollegen aus Minsk, Siarhay Martynau, gegeben. Beide Ressortchefs unterzeichneten einen Vertrag über die Erweiterung des kleinen Grenzverkehrs und besprachen etliche Wirtschafts- und Energieprobleme wie auch Fragen der kulturellen Zusammenarbeit. Außerdem gab es, wie aus dem polnischen Außenamt durchsickerte, ein »hartes Männergespräch«, das sich auf die Lage der polnischen Minderheit in Belarus, insbesondere auf den »Verband der Polen in Belarus«, bezog. Martynau wies alle Vorwürfe strikt zurück. Es handele sich lediglich um einen Streit verschiedener Fraktionen innerhalb des Verbandes der Polen.

Der Gast aus Minsk hielt anschließend im Polnischen Institut für Internationale Fragen einen Vortrag über die belarussische Außenpolitik. Dabei ging er nebenbei auf die polnisch-schwedische Initiative zur Schaffung einer »osteuropäischen Partnerschaft der EU« ein. »Belarus braucht nicht zwischen der EU und Russland zu wählen. Das ist ein falscher Vorschlag«, sagte der Minister. »Minsk wird keineswegs eine derartige Wahl treffen. Vielmehr kommt es uns darauf an, mit Russland keine Konflikte zu haben und uns der Union zu nähern«. Martynau beteuerte, Präsident Aleksandr Lukaschenko habe mit irgendwelchen Verfolgungen überhaupt nichts zu tun. In polnischen Medien herrscht dagegen eine geradezu hysterische Stimmung. Wegen »Verletzungen von Menschenrechten« fand am Dienstag in Warschau ein Gespräch des EU-Parlamentsvorsitzenden Jozef Buzek mit dem belarussischen Oppositionsführer Aleksandr Milinkiewitsch statt. Dabei meinte Buzek, Sanktionen gegen Minsk seien nicht mehr auszuschließen.

Der linke EU-Abgeordnete Marek Siwiec schrieb in seinem Blog: »Wer Lukaschenko ist, wissen wir alle, welche Politik er betreibt, ist klar, aber zwischen Polen und Belarus gibt es eigentlich keine Probleme außer der Minderheitenfrage bezüglich der Polen«. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Die linke Wochenschrift »NIE« wies in ihrer neuesten Ausgabe in ihrem Text »Die fünfte Kolonne« auf die Kulissen des Streits zwischen »zwei Fraktionen« hin. Richtig ist, dass es zwei sich gegenseitig bekämpfende Verbände der Polen in Belarus gibt. Der 1990 gegründete und in besten Zeiten etwa 20 000 Mitglieder zählende (bei etwa einer halben Million belarussicher Bürger polnischer Abstammung) »Zwiazek Polakow na Bialorusi« verhielt sich unter zwei Vorsitzenden loyal gegenüber der Macht in Minsk. Zwei Schulen und 16 Kulturhäuser nannte der Verband sein Eigentum.

Im Jahre 2005, als in Polen mit der Partei »Recht und Gerechtigkeit« der Gebrüder Kaczynski die Rechte die Macht übernahm, entsann man sich an der Weichsel der Idee von Jozef Pilsudski, der alle zur Zeit der Adelsrepublik der »Heiligen Rzeczpospolita« gehörenden Völker im Osten unter seiner Herrschaft gegen Russland zu vereinigen trachtete. Pilsudski gab diese Idee um das Jahr 1930 auf. Nicht aber 2005 die Herren Kaczynski. In der Person der damals 32-jährigen, in Grodno (Hradna) geborenen Lehrerin Angelika Borys fanden sie eine »echte Patriotin«, die sich dem Regime Lukaschenkos entgegenstemmte. Sie gewann die Wahl zum Verbandsvorsitz, doch ihre Präsidentschaft wurde vom Justizministerium in Minsk wegen »Verdachts einer Manipulation« nicht anerkannt.

Wiederholte Abstimmungen brachten eine andere Gruppe an die Verbandsspitze. Der Verein wird nun jedoch von Warschau als »Instrument des Regimes« nicht zur Kenntnis genommen. Dieser Verbandsvorstand unter Jozef Luczak erhob Anspruch auf das Eigentum (Kulturhäuser und Amtssitze), die Miliz ist dabei, die nach dem staatlichen Verständnis von Belarus legitime Forderung zu exekutieren. Festnahmen der Verweigerer vom »Borys«-Ver- band und Geldstrafen waren am Montag die Folge.

Mit Programmen des vom Staat unterhaltenen TV-Belsat, des Radios Bialystok und mit im »polnischen Exil« herausgegeben Zeitungen wird der Verband von Borys politisch und finanziell mit Geldern aus dem Senatshaushalt unterstützt. »NIE« ist deshalb der Meinung, Polens Belarus-Politik werde von der Lehrerin gemacht.

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