Spagat zwischen Mensch und Umwelt
Im kenianischen Kakamega-Forest wird nach Jahren des Raubbaus Nachhaltigkeit versucht
Als wir uns von der ehemaligen Handelsstadt Kakamega auf dem Piki-Piki, dem Motorradtaxi, über die holprige, staubige Straße geschubbert haben, überlegen wir uns erst einmal, wo wir unsere Glieder wieder ordnen wollen: in einem Zelt, einer Banda, also einer traditionellen Rundhütte, oder auf einem Haus auf Baumpfählen? Wir entscheiden uns für das Haus auf Pfählen, das ein Gast als »Budget Treetops« bezeichnet hat.
Am frühen Morgen weckt uns eine Auswahl von über 410 Vogelarten mit ihrem Gesang. Und beim Frühstück im Freien hüpfen die fast schon domestizierten, schlanken Kongo-Weißnasen-Affen mit ihren roten Schwänzen, nicht nur kreischend von Baum zu Baum, sondern greifen sich auch unseren Toast. Sie sind eine von sieben Affengattungen im Forest.
Im Büro des Kenya Forest Service können verschiedene Touren gebucht werden: Tagestouren, Nachtwanderungen, aber auch Sonnenuntergangs- oder -aufgangstouren. Daneben befindet sich das Büro der KEEP-Guides. Einer von ihnen ist der 26-jährige Humphrey Muhalia, der seit vier Jahren in dem auf 2300 Quadratkilometer geschrumpften Gebiet arbeitet. Er wurde von seinen Großeltern wie erfahrenen Guides geschult und häufte durch Selbststudium ein immenses Wissen an.
Am Eingang des Regenwaldes erzählt er uns von den über 33 verschiedenen Schlangenarten, worauf wir erst einmal den feuchten Waldboden mustern. Dass nur sieben von 30 giftig sind, beispielsweise die tödliche Gabunviper, beruhigt uns ein wenig. Über uns hüpfen schwarz-weiße Colobus-Affen tönend durchs Geäst, meist ist nur das feine, lange, weiße Haar zu sehen. Früher wurden sie von den Menschen wegen ihres Fleisches gejagt. Sie leben in Gruppen von bis zu sieben Affen, essen Blätter und Käfer, in der Kindheit ist das Fell ausschließlich weiß. Aber nicht nur sie sind durch die Menschen bedroht.
Humphrey Muhalia bleibt neben einem Baum stehen, in dessen Stamm eine Panga, eine Art Machete, tiefe Einkerbungen hinterlassen hat. »Dieser Baum heißt Kleberbaum oder Funtumia Africana. Sein Harz stoppt blutende Wunden. Es wird aber auch zum Anschüren von Feuer verwendet.«
Es ist zwar den Menschen aus der Umgebung erlaubt, Feuerholz zu sammeln, aber eben nur Holz, das neben dem Weg liegt. Dafür müssen pro Kubikmeter umgerechnet vier Euro bezahlt werden. So versuchen die 350 Angestellten des Kenya Forest Service die Bedürfnisse der Menschen zu berücksichtigen, die sehr unter der jahrelangen Dürre zu leiden hatten, aber eben auch das Erbe des Waldes zu schützen. Und ihre Arbeit trägt Früchte: Die Tier- und Holzwilderei ist zurückgegangen.
Viele Menschen kommen in den Wald, um ihre Schafe und Rinder weiden zu lassen oder Gras zu schneiden und es hoch aufgetürmt auf ihren Fahrrädern in die Stadt zu karren. Auch dafür müssen sie bezahlen. Dort kaufen es Bauern, die damit ihre Kühe füttern oder es als Dach für traditionelle Rundhütten verwenden. »Dies ist ein anderer Weg, um die Leute zu unterstützen. Früher sind die Grasflächen in der Trockenzeit manchmal abgebrannt«, erklärt Humphrey Muhalia. Wo heute aufgrund des Klimawandels Gras wächst, war einst Sumpfland.
Auf dem Weg zum Lirhanda Hill zeigt er uns Heilpflanzen, erklärt deren Wirkung. Wie das Pfeffergewächs Piper capense, dessen wurstförmige, körnige Samen nach Menthol schmecken, wenn man hinein beißt. Sie werden gegen Infektionen und Erkältungen verwendet.
Als wir den steilen Berg in der Mittagshitze erklommen haben, in dem um 1930 Gold gefunden wurde, blicken wir auf den stark dezimierten Regenwald. Mit seinen über 400 Jahre alten Bäumen, wie dem Mamamutere-Baum, der seinen Namen durch ein Missverständnis der Kolonialisten erhielt. Sie wurden vom Stamm der Luya mit einem Eintopf namens »Mutere« begrüßt. Im Dschungel entdeckten sie einen Baum, dessen Blätter »Mutere« ähnelten. Allerdings waren die geschmacklos. Und so nannten die Kolonialisten den Baum »Mutere«, weil die Luya das delikate Gemüse so nannten. »Mama« kam später hinzu, weil seine Samen viele weitere Bäume sprießen ließen. Oder der Fig-Baum, ein Parasit, der andere Bäume umschlingt und ihnen in 14 bis 30 Jahren die Nährstoffe aussaugt. 1991 wurde mit der Wiederaufforstung begonnen, auch weil die geschlossene Blätterdecke des Waldes, die ein Kriterium für gesundes Wachstum darstellt, von 90 Prozent auf 50 Prozent gesunken war.
Wieder zurück im Wald, umschwirren uns unzählige Schmetterlinge. Plötzlich stoppt Muhalia und zeigt uns eine Schnur, die an einem Stock hängt und an beiden Ende auf der Erde befestigt ist. »Damit fangen die Menschen Vögel, um sie zu essen. Ich habe es als Kind auch getan.« Mit seinem Finger tappt er in die Schlinge und Schnur samt Stock schnalzt nach oben. Vögel zu fangen ist mittlerweile illegal.
Damit die Menschen verstehen, warum dieser Lebensraum geschützt werden muss, unterrichten die KEEP-Vertreter jeden Samstag für zwei Stunden 80 Kinder aus der Umgebung. So auch Emilie Mujinji. Die 35-Jährige geht mit ihnen in den Wald, lehrt Tiernamen, die Wirkung von Heilkräutern oder macht einfach nur Spiele mit ihnen. Auf diesem Wege will sie spielerisch erreichen, dass die Kinder ihre Zukunft zurückgewinnen.
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