Die Farben der Emotionen

Zum Tode der Berliner Malers Wolfgang Frankenstein

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 2 Min.
Die Radierung »Verteidiger« aus dem Vietnam-Zyklus
Die Radierung »Verteidiger« aus dem Vietnam-Zyklus

Ein Jahrhundertmaler. Nicht der Lebenszeit wegen, die Wolfgang Frankenstein gegeben war, sondern im Hinblick auf die Spiegelung gesellschaftlicher Verhältnisse – ihres Geistes und wohl viel mehr noch ihres Ungeistes sowie ihrer Umbrüche – im künstlerischen Werk: Unruhe, die Bewegung als spröder Akt der Zerrissenheit menschlicher Seelen mit dem Wissenshintergrund um die Ausgesetztheit, die Verlorenheit des Menschen – in den Farben mit ihrer Suggestionskraft, in den zerfetzen Konturen, in den Bildkompositionen voller Abgründe und Dissonanzen. Sein »Unternehmen« galt der Vermittlung »zwischen jener fremden Welt und uns«. Und dieses war, wie er sagte, eine »Form der Magie«.

Wolfgang Frankenstein, geboren 1918 in Berlin, gehörte zu den bedeutenden deutschen Künstlern der Nachkriegszeit. Nach Jahren der Isolation – 1939 Studienverbot aus rassistischen Gründen, 1942 Verbot jeglicher künstlerischer Tätigkeit – fand der Schüler von Paul Kuhfuß und Max Kaus, der Freund des Brücke-Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff zur »Zone 5« in der Vier-Sektoren-Stadt Berlin, war 1948 Mitbegründer des Künstlerkabaretts »Die Badewanne«, 1948 bis 1951 Mitglied und dann auch künstlerischer Leiter der legendären Galerie Gerd Rosen. Die Künstlergruppe, zu der u.a. Heinz Trökes, Gerhard Moll, Mac Zimmermann, Alexander Camaro und Hans Thiemann gehörten, war ein Zentrum der Moderne, wo lange Zeit als »entartet« diffamierte Künstler Öffentlichkeit bekamen.

1952 wechselte Frankenstein in den Ostteil der Stadt, wurde an der Akademie der Künste bei Heinrich Ehmsen Meisterschüler. Zeigte das Frühwerk eine von Kafka inspirierte Formenwelt in surrealistischer Manier, suchte Frankenstein jetzt dem Optimistischen, dem Aufbruch Ausdruck zu geben. Das erwünschte Pathos jedoch war ihm fremd. Gemeinsam mit Moll und Waldemar Grzimek unternahm er Gestaltungen des öffentlichen Raums, angeregt von den mexikanischen Murales und den progressiven realistischen Konzeptionen von Diego Rivera und Renato Guttuso schuf er Fresken, die sein Gefühl für Rhythmus und die emotionalen Werte der Farbe in explosiver Kraft zur Geltung brachten.

1968 bis 1983 leitete er das Institut für Kunsterziehung an der Berliner Humboldt-Universität und war als Dozent in Greifswald tätig. Es waren die Jahre, in denen auch seine frühen Bilder wieder ins öffentliche Blickfeld kamen. Im Jahr 2003 würdigte das Stadtmuseum Berlin den Künstler anlässlich seines 85. Geburtstages am 5. Mai mit einer 150 Werke umfassenden, repräsentativen Auswahl neuerer und neuester Bilder. Ein »Spätwerk«, das durch Vitalität besticht, durch ein delikates Kolorit der Kühle, durch Formen, die sich im Fantastisch-Chiffreartigen bewegen.

Am vergangenen Sonnabend ist Wolfgang Frankenstein im Alter von 92 Jahren verstorben.

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