Kicker wird akademisch

Scharfe Fußballkonkurrenz auf Hamburger Kiez für FC St. Pauli-Fußballer

  • Lesedauer: 4 Min.
Mal eben eine Runde kickern, zwischen zwei Bier und einem Flirt, das ist Kult unter den Pistengängern jedes Wochenende. Tatsächlich aber ist das Ballspiel mit den bunten Männchen, die an Stangen in einem Tischkasten kreisen, auch längst ein ernst zu nehmender Sport. Am dritten Aprilwochenende ist auch wieder Kicker-WM, diesmal in Koblenz. Der Hamburger Zweitligaklub FC St. Pauli hat jetzt sogar eine eigene Tischfußballsparte gegründet, die Kicker-Academy St. Pauli. Mit deren erstem Vorsitzenden, dem Geschichtsstudenten HENNING RAMCKE (31), spricht ND-Autor RENÉ GRALLA.
Auch beim Schnupperkurs geht's scharf zur Sache.
Auch beim Schnupperkurs geht's scharf zur Sache.

ND: Kicker kann bei Ihnen von Grund auf gelernt werden, an einer richtigen »Akademie«?!
Ramcke: Den Namen haben wir bewusst gewählt. Natürlich kickern wir, aber wichtig ist vor allem auch das Lernen, das ist unser Schwerpunkt. Spielmöglichkeiten finden sich ja in vielen Lokalen, aber dass erfahrene Leute den Anfängern zeigen, wie sie im Tischfußball punkten können, das gibt' selten.

Kümmern sich Trainer um die Anfänger?
Genau. Seit 2007 leite ich Kurse im Tischfußball an der Universität Hamburg im Rahmen des Hochschulsports. Dieses Modell haben wir nun auf die Vereinsebene übertragen. Jeden Mittwoch ab 18 Uhr laden wir ein zum öffentlichen Training im Klubheim des FC St. Pauli – zum Reinschnuppern, kostet nichts. Ansonsten halten wir unsere Mitgliedsbeiträge niedrig, damit möglichst viele unser Angebot nutzen können. Für Studenten, Schüler und Arbeitslose sind das ermäßigt sechs Euro im Monat, alle anderen zahlen neun Euro.

Fürchten Sie keine Häme, weil der FC St. Pauli nun ausgerechnet auch noch eine Kicker-Academy gegründet hat?
Mit dem notorischen kicken auf dem Platz hat Kicker doch gar nichts zu tun! Die schweizerische Firma Kicker in Genf baute als erste die Tische für das Spiel. Und deren Name ist dann in Deutschland zum Synonym für unseren Sport geworden. Wobei kickern übrigens nicht weit von Hamburg schon ganz anders heißt. Nämlich krökeln, beispielsweise in Hannover und Umgebung.

Und dieses krökeln, sorry: kickern, betreiben Sie ernsthaft als Sport?
Schauen Sie sich doch Dart oder Billard an! Die haben ihren Ursprung ebenfalls in der Kneipe. Aber inzwischen haben sich beide Sparten vor allem in England als Sport etabliert, über den die Medien berichten, allen voran das Fernsehen. Da wollen wir auch hin. Das Etikett Kneipensport stimmt schon lange nicht mehr. Kicker kennt einen regulären Punktspielbetrieb in verschiedenen Klassen bis hinauf zur Bundesliga. Für Leute, die früher eine andere Disziplin betrieben haben, aber dort verletzungsbedingt aussteigen mussten, ist Tischfußball eine tolle Alternative.

Was macht den Profi am Kickertisch aus? Dass er die Bälle druckvoll nach vorne drischt?
Wer bei Turnieren oben mitmischen will, muss sich Spielsysteme, Taktiken und Züge aneignen. Klar, ein Hobbysportler braucht die vielleicht nicht, dem genügen ein paar Kniffe, die wir ihm beibringen. Die anderen aber müssen die unterschiedlichen Schusstechniken üben. Etwa den Abroller, bei dem man mit einer Spielfigur ausholt, dann hinter den Ball geht und schießt. Oder der Jet, das ist ein direkter Torschuss mit Überschlag.

Menschen mit körperlichen Einschränkungen haben bei Ihnen auch einen Chance?
Die Tischlerei PBBO, Bochum, hat uns einen barrierefreien Tisch zur Verfügung gestellt. Hier können auch Rollstuhlfahrer spielen.

Wie viele organisierte Tischfußballer kickern in Deutschland?
Um die 7000, und wir arbeiten heftig auf die 10 000 hin.

Wie es sich für den Kiezverein FC St. Pauli gehört, sind auch die Tischfußballer sozial engagiert ?
Genau. Dazu gehören Benefizturniere, zum Beispiel mit der Obdachlosenzeitung »Hinz und Kunzt«. Außerdem arbeiten wir mit im St. Pauli-Projekt Viva con Agua, das die Trinkwasserversorgung in Ländern wie Kuba, Nicaragua, Kenia oder Kambodscha verbessern möchte.

In diesem Jahr gibt es WM am Tisch und auf dem Rasen. Wo wird Deutschland Weltmeister?
Sofern der Belgier Frédéric Collignon wieder antritt, der in den letzten Jahren so ziemlich alles gewonnen hat, sieht es zumindest beim Kickern düster für uns aus.

Kicker-Academy St. Pauli: offenes Training Mittwoch ab 18 Uhr, Klubheim FC St. Pauli, Heiligengeistfeld. Training für Jugendliche am Donnerstag ab 16 Uhr im Löwenbunker, Löwenstraße 29a, Hamburg; weitere Infos: www.kicker-academy.de,

www.dtfb.de

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