• Kultur
  • Beilage zur Leipziger Buchmesse

Staatlicher Alltagsterrorismus

ISLAMISCHE GEHEIMDIENSTE

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Bücher, auch Sachbücher, in denen es um Agenten, Spionage, Mord und politische Intrigen geht, sind in der Regel spektakulär aufgemacht. Leser mögen dieses geheimnisvoll Anrüchige, das sich in Andeutungen und Schemen verliert. Natürlich ist auch Wilhelm Dietls jüngstes Buch nicht ganz frei von solch handwerklich erprobten Methoden. Auch deshalb liest es sich in einem Zuge. Doch es ist auf keiner Seite auf Überhöhungen angewiesen.

Was der Ex-BND-Mann und Journalist zusammengetragen hat über die staatlichen Terroristen, die sich im Mittleren und Nahen Osten – in kriminellen Vereinigungen, genannt Nachrichtendienste, organisiert – gegen Demokratie und Menschenrechte verschworen haben, lebt von gut recherchierten Fakten, aus nachvollziehbaren Analysen, sorgsam aufbereiteten Hintergründen und aus sparsamen Wertungen. Besonderes Interesse werden derzeit vermutlich die Kapitel über Iran und Syrien finden. Gewiss ist da manches nicht bis zum letzten Komma exakt – wie auch sollte das gehen in diesem Metier? Wenn man dazu noch darauf angewiesen ist, was US- und israelische Dienste von ihrem Wissen freigeben, begibt man sich natürlich in die Hand der Feinde der Feinde von Demokratie, die deshalb keinesfalls in einem besseren Licht erscheinen. Doch Dietl ist als Kenner von Örtlichkeiten und Akteuren durchaus in der Lage, sich nicht benutzen zu lassen. Er anonymisierte keinen, er nennt Klarnamen, duldet – so weit es ihm möglich ist – keine Grauzonen, in denen verantwortliche Handlager verschiedener Regimes verschwinden können. So entsteht eine Art Kompendium jener, für die Folter und Mord Alltag ist. Man liest von Diffamierungen, von Drogen- und Nuklearschmuggel. Begriffe wie »Mykonos« oder »Lockerbie« tauchen in einem zum Teil neuen Zusammenhang auf. Der Buchautor macht dort weiter, wo das Interesse der Journalistenkollegen zumeist bereits von anderen Themen überwuchert ist.

Ein weiterer Vorteil des Buches: Der Autor verweist deutlich auf Hintermänner. Das sind natürlich die jeweiligen Regierung oder Machthaber in Syrien, Ägypten, Iran, Libyen, Libanon, Palästina und Saudi-Arabien – Israel wird nicht vergessen. Doch nicht nur die stecken hinter politisch, ökonomisch, militärisch, religiös und charakterlich motivierten Entführungen, Anschlägen und anderen Formen der »Neutralisierung« von Menschen überall auf der Welt. Dietl verweist auf die ungenierte Zusammenarbeit westlicher Staaten und Dienste mit den Staatsterroristen der sogenannten islamischen Welt.

Deutschlands Rolle wird mehrfach klargestellt. Während der Generalbundesanwalt auf Grundlage eindeutiger Beweise Haftbefehle ausstellt, erweist man den Gesuchten im Kanzleramt alle protokollarischen Ehren. Wie selbstverständlich spielen deutsche Dienste Verdächtige, denen man hierzulande nichts Gerichtsverwertbares nachweisen kann, arabischen Folterdiensten zu. Um dann am Ergebnis der »Befragungen« wie selbstverständlich teilzuhaben.

Vielleicht sind diese Darstellungen regierungsoffiziellen Gesetzesbruchs ein Grund dafür, dass die »Schattenarmee« in einem österreichischen Verlag erscheinen musste. Ein renommiertes deutsches Verlagshaus jedenfalls hat nach dem Lesen des Manuskripts das vereinbarte Honorar gezahlt, dann aber von einem Druck des Buches abgesehen.

Das Buch wird interessierte Leser nicht enttäuschen. Doch eines ist ebenso sicher: Die Liste der Länder, in denen Dietl Urlaub machen kann, ist jetzt noch kürzer geworden.

Wilhelm Dietl: Schattenarmeen. Die Geheimdienste der islamischen Welt. Residenz Verlag, St. Pölten. 300 S., geb., 21,90 €

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