- Kultur
- Beilage zur Leipziger Buchmesse
Aufklärung
JUDEN IN DER DDR
Der Krieg war erst wenige Monate zu Ende, da begann in Berlin die kulturpolitische Monatszeitschrift »Aufbau« zu erscheinen, die im ersten Heft einen Artikel von Georg Lukács »Der Rassenwahn als Feind des menschlichen Fortschritts« druckte. Im Januar 1946 gab das Zentralkomitee der KPD eine Monatsschrift für aktuelle Fragen der Arbeiterbewegung heraus, die »Neuer Weg« hieß und deren Eröffnungsheft einen Artikel »Das Wesen des Rassismus« enthielt.
In diesen Zeiten, da sich von einem Buchmarkt noch nicht sprechen ließ, publizierte der Verlag der Sowjetischen Militäradministration Konstantin Simonows nur 19 Druckseiten umfassenden Bericht »Ich sah das Vernichtungslager«, geschrieben, nachdem der Kriegskorrespondent mit der Roten Armee auf dem Weg nach Westen das KZ und Vernichtungslager Lublin erreicht hatte. Darauf folgte 1946 Vasilij Grossmans, Kriegsberichterstatter wie Simonow, »Die Hölle von Treblinka«, ediert vom Moskauer Verlag für internationale Literatur.
Im gleichen Jahr gab ein Dresdener Verlag Erinnerungen der jüdischen Sozialdemokratin Jeanette Wolff »Sadismus oder Wahnsinn. Erlebnisse in den deutschen Konzentrationslagern des Ostens« heraus. Sie hatte mit einer ihrer Töchter überlebt, während alle ihre anderen Familienangehörigen dem Massenmorden zum Opfer gefallen waren. Der schmale Band erschien in einer weiteren Auflage ein Jahr darauf in Greiz. Er lässt sich heute selbst in Spezialbibliotheken vergeblich suchen.
Mit dieser Literatur begann der Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Judenfeindschaft in der sowjetischen Besatzungszone. Einem Schulungsabend der SED im Jahre 1947 zu dem Thema »Die Rassenlüge der Nazis« diente eines jener legendären roten Sozialistischen Bildungshefte zur Grundlage.
Legen diese Quellen nicht nahe, gegenüber der Behauptung von der antisemitischen DDR, die seit Jahren Konjunktur hat, sich auf den Standpunkt jenes Sprichworts zu stellen: »Die Hunde bellen, aber die Karawane zieht weiter»? Dagegen sprechen zwei Überlegungen. Die eine richtet sich auf die Tatsache, dass die Zahl der den Legenden und Lügen aus eigenem Wissen Widersprechenden unausgesetzt abnimmt. Das verschafft denen Erfolgschancen, die schlicht auf Unwissen spekulieren. Daher soll wenigstens versucht werden, der Wahrheit ein Gässchen zu schlagen.
Die andere: Zur Ignoranz tritt der Versuch, den untergegangenen ostdeutschen Staat des »strukturellen« Antisemitismus unter Verweis auf unstrittige Tatsachen zu bezichtigen, die mit dieser (totgeschwiegenen) kontinuierlichen geistigen Auseinandersetzung entweder in scharfem Kontrast stehen oder von deren Grenzen bezeugen. Das trifft für eine von der SED betriebene antizionistische Kampagne der 50er Jahre zu, die in haltlosen, d. h. hier erfundenen politischen und rechtsverletzenden juristischen Anklagen und Verurteilungen von Juden und Nichtjuden gipfelte. So sicher diese Aktion ein Import aus dem Moskau Stalins war, so wenig erledigen sich damit Fragen, die an die Herkunft eines dogmatisierten und halluzinierenden Freund-Feind-Denkens zu stellen sind. Und dann sind da Verletzungen des Prinzips der Achtung vor den Opfern des Faschismus, die aus Unwissenheit, Gedankenlosigkeit, Kleingeisterei erwuchsen und sich im nichtachtenden Umgang mit Stätten der Erinnerung, jüdischen Friedhöfen zumal, niederschlugen. Die aber kann samt und sonders dem Antisemitismus nur zuordnen, wer bösen Willens ist.
Kurzum: Der Fehdehandschuh, so dreckig er ist, muss aufgenommen werden. Detlef Joseph, Jurist, Hochschullehrer, Professor, hat das in einer Abhandlung getan, deren Achse die Beziehungen der staatlichen Organe der DDR zu den jüdischen Gemeinden und deren führenden Repräsentanten bildet. Das ergibt seit der zweiten Hälfte der 50er Jahre ein Bild der Kooperation, dem gemeinsame Anliegen die Basis lieferten, ohne von Meinungsverschiedenheiten und Widersprüchen frei zu sein.
Die rührten weniger aus inneren Vorgängen her, sondern vor allem aus einem sich unterscheidenden Blick auf Israel, die es umgebende arabische Welt und deren Beziehungen zueinander. Dass die Bonner Hallstein-Doktrin und die Politik der internationalen politischen und wirtschaftlichen Isolierung der DDR von ihr gerade im arabischen Raum durchbrochen werden konnte, machte die Situation nicht einfacher.
Josephs Abhandlung braucht eine Ergänzung, eine Darstellung die von den »Höhen« dieser offiziellen Beziehungen gleichsam hinabsteigt in den Lebensalltag der Juden im ostdeutschen Staat.
Was der Verlag auf der Rückseite des Covers unrichtig als Beigabe einstuft, ist in Wahrheit eine bibliografische Meisterleistung – zu danken der ausdauernden Forscherarbeit der vieljährigen Leiterin der Bibliothek der jüdischen Gemeinde Berlin/DDR.
Renate Kirchner hat 1086 meist separate Veröffentlichungen zusammengestellt und aufgelistet, unter der Überschrift »Jüdisches in Publikationen aus DDR-Verlagen 1945-1990«. Hier wird die Sach- wie die erzählende Literatur erfasst. Der ordnende Gliederungsbogen reicht von »Nationalsozialismus und Judenverfolgung« über »Palästina – Israel – Naher Osten« bis zu »Lebens- und Werkbetrachtungen berühmter und bekannter Juden«. Ein Personenregister führt zu den Autoren und in Titeln erwähnten Personen, ein chronologisches zu den in einem Jahr erschienenen Veröffentlichungen, woraus sich deren Zahlenkurve ersehen lässt.
1992, als die Propaganda gegen die DDR sich vergleichsweise noch in einem kindlichen Stadium befand, wurde in einer westdeutschen Zeitschrift erwogen, ob im Osten wider den Antisemitismus womöglich mehr Aufklärung erfolgt sei, als »wir wahrhaben möchten«. Auf diese Vermutung war der Autor durch Befragungen gebracht worden, die den Zustand der Alt- und der Neubürger verglichen hatten. Kirchners Bibliografie legt nun bloß, was zum Zwecke solcher Aufklärung unter die Leute gebracht worden ist. Und das ist schon sehr beachtlich! Und noch beachtlicher: Es wurde gelesen. Auch in der DDR konnte den Menschen der Buchkauf so wenig wie das Bücherlesen verordnet werden. Doch die Preise der Bücher kamen ihnen sehr entgegen. Diese Bücherliste lässt also vor allem fragen, wie mit einem Erbe umgegangen wird.
Detlef Joseph: Die DDR und die Juden. Eine kritische Untersuchung. Mit einer Bibliografie von Renate Kirchner. Das Neue Berlin. 399 S., br., 19,95 €
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