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  • Kultur
  • Beilage zur Leipziger Buchmesse

Liebe, Revolution, Hoffnung, Heldenmut

TAHMIMA ANAM erzählt die Geschichte einer unfassbar starken Frau

  • Michaela Karl
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor vierzig Jahren eskalierte ein Konflikt, der heute nahezu vergessen ist und der mit der Gründung des unabhängigen Staates Bangladesch endete. Der Krieg zwischen West- und Ostpakistan bildet den Schauplatz für Tahmima Anams großartigen Roman »Zeit der Verheißungen«. Lässt man sich darauf ein, in dieses, schon rein optisch schön gestaltete Buch einzutauchen, begreift man schon nach wenigen Seiten, warum dieses Erstlingswerk der 1975 in Dhaka geborenen Autorin mit Auszeichnungen überhäuft wurde. Es ist einer der seltenen Fälle, in denen Historie und Einzelschicksale so gekonnt miteinander verbunden sind, dass die Qualen von Land und Mensch hautnah spürbar werden.

Der Roman spielt in den Monaten, in denen der lange schwelende Konflikt zwischen den Bengalen im Osten und der Zentralregierung im Westen in eine kriegerische Auseinandersetzung mündet. Nach der Entlassung in die Unabhängigkeit wurde das britisch-indische Kolonialreich in das muslimische Pakistan und das vorwiegend hinduistische Indien aufgeteilt. Pakistan selbst bestand ebenfalls aus zwei Teilen, die durch Indien geografhisch 1800 Kilometer voneinander getrennt waren. Die bengalische Bevölkerung Ostpakistans fühlte sich durch die sprachlich-kulturelle, ökonomische und politische Hegemonie Westpakistans benachteiligt und forderte mehr Freiheiten.

Der Wahlsieg der sezessionistischen, linksorientierten Awami Liga in Ostpakistan unter Scheich Mujibur Rahman vom Dezember 1970 verschärfte die Situation. Von den Unruhen wird auch das Leben der Hauptperson des Romans, der Witwe Rehana Haque aus Dhaka, durcheinandergewirbelt.

Bis zu diesem Zeitpunkt verläuft ihr Leben ruhig, ohne Aufregungen, ohne Höhepunkte. Sie kocht, züchtet Blumen und spielt mit ihren Freundinnen Gin-Rummy. Alljährlicher Höhepunkt ist die Feier des Tages, an dem ihre Kinder, die sie nach dem Tode ihres Mannes an reiche Verwandte übergeben musste, zu ihr zurückkehrten. Niemand ahnt, dass Rehana ein dunkles Geheimnis umgibt.

Am zehnten Jahrestag der Rückkehr der Kinder im März 1971 ändert sich alles. Nachdem sich Bangladesch unabhängig erklärt, landen pakistanische Truppen in der Stadt und lösen einen Bürgerkrieg aus. Rehana versteht sich als unpolitisch und versucht mit allen Mitteln, ihre Familie aus den Entwicklungen herauszuhalten. Doch auch sie kann die Augen nicht vor der Gewalt verschließen, die über das Land hereingebrochen ist. Ihr wird klar, dass es nur diese Zeit, dieses Leben, diese Ära voller Schwierigkeiten gibt, an die sie alle gefesselt sind, ohne etwas daran ändern zu können, und dass ihnen nichts als die Leidenschaft und die Liebe bleiben, um sich daran festzuhalten.

Rehanas Kinder Sohail und Maya, die sich als Studenten für die Sezessionsbewegung begeistern, schließen sich dem Widerstand an und verlieren vieles, was ihnen lieb und teuer ist. Mayas beste Freundin Sharmeen wird von Soldaten vergewaltigt und getötet. Sohails Freund Aref kommt im Kugelhagel ums Leben, seine große Liebe Silvi wechselt auf die Gegenseite. Das Mietshaus im Garten der Familie wird zum Stützpunkt für die Guerilla, Rehana zur Ersatzmutter der jungen Partisanen. Aus der Gin-Rummy-Runde wird ein Näh-Kränzchen für Felddecken, im Garten wird eine Waffendepot angelegt.

Doch mit dem allgegenwärtigen Tod kehrt auch das Leben und die Liebe zu Rehana zurück. Inmitten dieses Wahnsinns erlebt sie sechsundneunzig glückliche Tage, begleitet von den Gesängen Nina Simones, in deren Stimme symbolhafte tausend Jahre Trauer liegen. Nachdem Rehana unmittelbar mit Mord, Vergewaltigung und Folter konfrontiert wird, wächst sie über sich hinaus und beweist Mut und Entschlossenheit. Über dem Einsatz für ihr Land steht jedoch stets die Sorge um ihre Kinder. Es gelingt ihr, beide zu retten. Doch sie bezahlt einen schrecklichen Preis dafür.

Tahmima Anams Roman, in dem sie die Geschichte der bengalischen Freiheitsbewegung mit ihrer eigenen Familiengeschichte verbindet, handelt von Liebe und Revolution, Glaube, Hoffnung und Heldenmut und ist neben einer spannenden Geschichtsstunde vor allem eins: die Geschichte einer unfassbar starken Frau.

Tahmima Anam: Zeit der Verheißungen. Roman. A. d. Engl. v. Anke Caroline Burger. Insel Verlag. 318 S., geb., 19,80 €

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