- Kultur
- Beilage zur Leipziger Buchmesse
Der erfundene Feind
DETLEV CRUSIUS: Ein Thriller aus eigenem Erleben
Das ist weniger ein Roman als ein nüchterner Bericht – was der Rezensent eher als Lob denn als Tadel meint. Hier wird nichts beschönigt oder mit banaler Philosophie aufgeschwemmt, der Verfasser nennt Tatsachen, und die lesen sich in seiner schnörkel-, mitunter auch anspruchslosen Prosa abenteuerlich genug. »Absturz« ist ein Thriller höchst eigenwilliger Art, in dem kaum mehr als die Wahrheit steht, öfter etwas weniger.
Detlev Crusius (alias René Clausen im Buch), Jahrgang 1942, im Westen aufgewachsen, hat nach 1989 als EDV-Experte sein Glück als selbst ernannter Unternehmer in Ost und West gesucht. Wie im Internet und in den Drucksachen des Bundestags nachzulesen ist, haben er und einige Mittäter Anfang der 90er Jahre die elektronische Steuerung für eine unterirdische Giftgasfabrik beschafft und – trotz Embargo – über Belgien nach Libyen exportiert. Ein von Anfang an dubioses Geschäft, in das die Firma Siemens und die Geheimdienste etlicher Länder involviert waren.
Obwohl es für die Beteiligung des BND laut Bundestagspapier »keine tatsächlichen Aspekte« gab, ermöglichte die Mitwisserschaft »der Dienste«, dass die Beteiligten – darunter pinkanterweise ein Zürcher Rechtsanwalt namens Josef Ackermann – neben unbekannt und ungenannt bleibend hohen Gewinnen mit relativ niedrigen Haftstrafen davon kamen.
Verwoben mit seinen Erlebnissen in Libyen und Syrien ist Crusius' Gefängnistagebuch. Die Verhältnisse in den JVA (ehemalige DDR-Häftlinge werden sie als nahezu idyllisch empfinden) und der Kuhhandel mit der ach so unabhängigen bundesdeutschen Justiz nehmen in Crusius' Buch breiteren Raum ein als viele Details des riskanten libyschen Deals. Dabei ging es offensichtlich nur um eins: Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde ein ernstzunehmender Gegner benötigt. Libyen, an Ölgewinnen reich, wollte (und will? und soll!) als höchst gefährlich gelten – wobei im Hintergrund dafür gesorgt war, dass die gelieferten Anlagenteile niemals funktionieren. Worauf die Libyer entsprechend reagierten. Ein zusätzliches Risiko, das Regierungen, Geheimdienste und skrupellose Geschäftemacher in und aus aller Welt kaum abschreckt. Dazu ist der legale, viel mehr noch der illegale Handel mit Kriegsgerät und Zubehör zu lukrativ.
Offenherzig liefert der Insider Crusius alarmierende Beispiele für das, was unter der so harmlos klingenden Marke globaler Handel möglich ist. Im Internet kann man unter www.detlev-crusius.com mehr darüber nachlesen.
Dass Crusius sich als Autor gelegentlich in den Zeitformen verheddert, die Nebenfiguren blass bleiben und der eine oder andere Satz überflüssig ist, mag man verzeihen. Den Wert seiner brisanten Aufzeichnungen, von denen trotz der kargen Sprache eine eigenartige Sogwirkung ausgeht, mindern die Einwände nicht.
Detlev Crusius: Absturz. Ein autobiografischer Roman. Dittrich Verlag. 352 S., geb., 19,80 €
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.